Dr. Brigitte Hilgers-Klautzsch
Rz. 80
Nach dem neuen § 73e Abs. 1 Satz 1 StGB ist eine Einziehung noch nicht (wie nach früherem Recht) dadurch ausgeschlossen, dass dem Verletzten aus der Tat ein Anspruch "erwachsen ist", sondern erst dadurch, dass dieser mittlerweile "erloschen ist". Hat der Einziehungsadressat die Steuerschulden vor der gerichtlichen Anordnung der Einziehung tatsächlich gezahlt, wird er durch § 73e StGB vor der doppelten Inanspruchnahme geschützt (vgl. ebenso § 459g Abs. 4 StPO betr. die Vollstreckung). Ansprüche aus dem Steuerverhältnis erlöschen darüber hinaus durch Aufrechnung (§ 226 AO) oder Erlass (§§ 163, 227 AO) der geschuldeten Steuer. Auch eine tatsächliche Verständigung zwischen dem Steuerpflichtigem und der FinB bewirkt nach zutreffender Ansicht ein Erlöschen i.S.v. § 73e StGB (s. Rz. 118).
Rz. 81
Dagegen sieht der durch Art. 47 JStG 2020 vom 21.12.2020 mit Wirkung vom 29.12.2020 eingefügte § 73e Abs. 1 Satz 2 StGB eine Ausnahme für Ansprüche vor, die durch Verjährung erloschen sind. Diese Regelung im StGB ersetzte die durch das Zweite Gesetz zur Umsetzung steuerlicher Hilfsmaßnahmen zur Bewältigung der Corona-Krise vom 29.6.2020 (Zweites Corona-Steuerhilfegesetz) Sonderregelung des – weggefallenen – § 375a AO (s. auch zu den gesetzgeberischen Gründen für die Neuregelung die Erl. dort). § 375a AO a.F. galt gem. Art. 97 § 34 EGAO a.F. für alle Steueransprüche, die am 1.7.2020 noch nicht verjährt waren. Hintergrund war der befürchtete Steuerausfall in den Cum-ex-Verfahren auf der Basis der Entscheidung des BGH vom 24.10.2019 (s. § 375a Rz. 4). Vor dem 1.7.2020 konnte für Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 Abs. 1 AO), die durch Verjährung erloschen sind (§ 47 AO), keine Einziehung nach §§ 73 ff. StGB angeordnet werden.
Das BVerfG hat die in § 73e Abs. 1 Satz 2 StGB n.F. getroffene Regelung verfassungsrechtlich nicht beanstandet; auch die Übergangsregelung des Art. 316j Nr. 1 EGStGB (s. dazu § 375a Rz. 26 ff.) mit der – abweichend von § 2 Abs. 5 StGB über die zeitliche Geltung der Einziehungsvorschriften – unter bestimmten Umständen die Anwendung des § 73e Abs. 1 Satz 2 StGB für Taten angeordnet wird, die vor der Einführung des § 73e Abs. 1 Satz 2 StGB begangen wurden, sei verfassungsgemäß.
Art 316j Übergangsvorschrift zum Jahressteuergesetz 2020
Wird über die Anordnung der Einziehung des Tatertrages oder des Wertes des Tatertrages wegen einer Tat, die vor dem 29. Dezember 2020 begangen worden ist, nach diesem Zeitpunkt entschieden, so ist abweichend von § 2 Absatz 5 des Strafgesetzbuches § 73e Absatz 1 Satz 2 des Strafgesetzbuches in der am 29. Dezember 2020 geltenden Fassung anzuwenden, wenn
Grundsätzlich soll dies gem. Art. 316j Nr. 2 EGStGB zwar nur gelten, wenn die Festsetzungsverjährung erst "nach dem 1.7.2020 eingetreten ist", wie es bereits das frühere Recht vorsah (§ 375a AO a.F. i.V.m. Art. 97 § 34 EGAO a.F.; s. § 375 Rz. 46). Für eine Steuerhinterziehung "unter den in § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO genannten Voraussetzungen" ordnet Art. 316j EGStGB aber nun eine zeitlich unbegrenzte "echte" Rückwirkung der in § 73e Abs. 1 Satz 2 StGB angeordneten Einziehungserstreckung auch auf Taterträge an, hinsichtlich derer der Rückgewähranspruch des Fiskus bereits durch Verjährung erloschen ist. Das BVerfG hat aber auch die durch Art. 316j EGStGB angeordnete und noch über Art. 316h EGStGB hinausgehende echte Rückwirkung mit Rücksicht auf "überragend wichtige" Interessen des Gemeinwohls für vereinbar mit dem Rechtsstaatsprinzip erklärt.
Praktischen Sinn ergibt der neue § 73e Abs. 1 Satz 2 StGB vor allem für die selbständige Einziehung nach § 76b StGB (s. Rz. 75 sowie § 375a AO Rz. 11).
Rz. 82– 84
Einstweilen frei.