Dr. Brigitte Hilgers-Klautzsch
Rz. 1319
Zur "Tat"i.S.d. § 264 StPO gehört nach der Rspr. und überw. Lehre im allgemeinen Strafrecht – ohne Rücksicht darauf, ob materiell-rechtlich Tateinheit i.S.d. § 52 StGB (s. § 370 Rz. 860, 871, 914) oder Tatmehrheit i.S.d. § 53 StGB (s. § 370 Rz. 900, 915) vorliegt –, das gesamte von Anklage und Eröffnungsbeschluss betroffene Verhalten des Täters, soweit es nach natürlicher Auffassung einen einheitlichen Lebensvorgang darstellt. Das ist dann der Fall, wenn mehrere Handlungen unmittelbar und dergestalt innerlich verknüpft sind, dass ihre getrennte Verfolgung und Aburteilung als unnatürliche Aufspaltung einer natürlichen Einheit empfunden würde.
Rz. 1320
Mit Beschluss vom 20.12.2017 hat der für Steuerstrafsachen zuständige 1. Strafsenat des BGH noch einmal klargestellt, dass es im Steuerstrafverfahren grundsätzlich keinen vom allgemeinen Strafverfahren abweichenden Tatbegriff gibt (s. Beispiel in Rz. 1345.1). Maßgeblich sind insoweit die tatsächlichen Verhältnisse des Einzelfalls
Auch hier sei Tat im prozessualen Sinne gem. § 264 StPO der vom Eröffnungsbeschluss betroffene geschichtliche Lebensvorgang einschließlich aller damit zusammenhängenden oder darauf bezogenen Vorkommnisse und tatsächlichen Umstände, die geeignet sind, das in diesen Bereich fallende Tun des Angeklagten unter irgendeinem rechtlichen Gesichtspunkt als strafbar erscheinen zu lassen.
Rz. 1321
Wegen der Besonderheiten im Steuerstrafrecht hat es in der Literatur Ansätze gegeben, diese als zu weit empfundene Interpretation des Tatbegriffs differenzierter zu betrachten.
Nach Volk kann der weite Tatbegriff i.S.d. § 264 StPO nur gelten für die bei Gericht anhängigen Tatgeschehen. In anderen Zusammenhängen, insb. bei Durchsuchungsbeschlüssen und bei der Selbstanzeige, müssten die konkreten Geschäftsvorgänge bezeichnet werden. Auch Radermacher definiert die Angabe einzelner unrichtiger Besteuerungsmerkmale als eigenständige prozessuale Tat gem. § 264 StPO. Die Klammerwirkung der Steuererklärung könne nicht dazu führen, dass die einzelnen Besteuerungsmerkmale zu einer materiell-rechtlichen Tat pro Steuerjahr zusammengefasst würden. Unterschiedliche Steuerformulare bedingten unterschiedliche Tatentschlüsse. Daher trete ein Strafklageverbrauch nicht ein, soweit nachträglich andere, ebenfalls nicht versteuerte Einkunftsarten bekannt würden. Die Einleitungsverfügung des Steuerstrafverfahrens gem. § 397 AO sollte nicht die unrichtige Steuererklärung als Ganzes, sondern nur die unrichtige Erklärung einzelner Besteuerungsmerkmale bezeichnen. Bei verjährungsunterbrechenden Maßnahmen seien der konkrete Verfolgungswille der Ermittlungsbehörde und die in den Vermerken bezeichneten Verdachtsmomente bzgl. der nicht versteuerten Einkunftsarten maßgeblich.
Rz. 1322
So besteht denn auch in der Praxis der Ermittlungsbehörden die Neigung, den Tatbegriff, je nach Verfahrenssituation und wie es opportun erscheint, eng (z.B. bei Verfahrenseinleitung) oder weit (bei Ausschlussgründen der Selbstanzeige und verjährungsunterbrechender Wirkung von Durchsuchungsbeschlüssen) zu bestimmen.
Rz. 1323
Der Kritik der Literatur ist insoweit zuzustimmen, als es in der Praxis schwierig ist, zu entscheiden, ob es sich um voneinander trennbare Vorkommnisse handelt oder nicht. Allein anhand der abstrakten und vagen Begriffe wie "natürliche Betrachtungsweise" oder "soziales" bzw. "historisches" einheitliches Geschehen (faktische Kriterien) und "Unterschiedlichkeit des Tatbildes" bzw. "normative Differenz" (normative Kriterien) lässt sich eine allgemeingültige Umschreibung kaum finden.
Meines Erachtens bedarf es aber keiner differenzierten Auslegung des Tatbegriffs im Sinne von Volk, da sich die rechtsstaatlich und verfahrensökonomisch gebotene Restriktion aus anderen Erwägungen ergibt. Gegen einen unterschiedlichen, aber gleichwohl engen ("punktuellen") Tatbegriff für das Steuerstrafrecht spricht sich auch mit m.E. guten Gründen Bauer aus.
Rz. 1324
Für die Unterbrechung der Verjährung (§ 78c StGB) durch Verfahrenseinleitung, Durchsuchungsbeschluss oder Haftbefehl gilt, dass nur hinreichend konkrete Anordnungen und Maßnahmen eine entsprechende Rechtswirkung entfalten (s. Rz. 274 ff.; § 376 Rz. 66, 135 ff.). Das kann im Ergebnis dazu führen, dass die Verjährung nur für eine Einzeltat eines einheitlichen Gesamtgeschehens unterbrochen wird, während sie für andere Tatteile weiterläuft. Das ist aber kein (für Volk hinnehmbarer) Systembruch, sondern Folge des verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatzes, der bei der Verjährung besondere Bedeutung entfaltet (s. § 376 Rz. 138). Nur begrenzte Wirkung hat die Unterbrechungshandlung, wenn sie sich erkennbar nur auf eine oder einen Teil der Taten bezieht. Entscheidend ist dabei der Ermittlungswille der FinB und die damit zusammenhängende unversteuerte Einkunftsart (s. § 376 Rz. 139 m.w.N.). Zudem können nach hier vertretener Ansicht Ermit...