Rz. 4

[Autor/Stand] § 385 Abs. 1 AO bildet das verfahrensrechtliche Gegenstück zur materiell-rechtlichen Vorschrift des § 369 Abs. 2 AO. Die Vorschrift enthält eine Generalverweisung auf die allgemeinen Gesetze über das Strafverfahren und bringt damit zum Ausdruck, dass die AO für das formelle Steuerstrafrecht keine abschließenden, sondern nur einige ergänzende Regelungen trifft. Eigentlich kommt § 385 Abs. 1 AO deshalb lediglich deklaratorische Bedeutung zu, da wegen der offensichtlichen Unvollständigkeit der Verfahrensbestimmungen der AO ein Rückgriff auf die allgemeinen Strafverfahrensnormen auch ohne ausdrückliche gesetzliche Anordnung möglich wäre[2]. Zumindest wird aber durch § 385 Abs. 1 AO klargestellt, dass die strafrechtlichen Verfahrensvorschriften der AO als leges speciales den allgemeinen Gesetzen über das Strafverfahren, insb. der StPO, dem GVG und dem JGG, vorgehen. Zudem wird dadurch trotz der fiskalischen Verortung in der AO die Nichtanwendbarkeit des Verwaltungsverfahrensrechts (1.–7. Teil der AO und das VwVfG) betont (vgl. auch § 2 Abs. 2 VwVfG)[3].

 

Rz. 5

[Autor/Stand] § 385 Abs. 2 AO erweitert die Ermittlungskompetenz der FinB auf Delikte des allgemeinen Strafrechts, sofern ein steuerlich erheblicher Sachverhalt zur Erlangung von Vermögensvorteilen der FinB oder einer anderen Behörde gegenüber vorgespiegelt wird[5]. Anlass für die Schaffung des § 385 Abs. 2 AO war die frühere Rspr. des BGH[6], die bei derartigen Sachverhalten Betrug gem. § 263 StGB und nicht Steuerhinterziehung nach § 370 AO annahm (s. § 370 Rz. 432). Dies hatte einerseits die unerwünschte Folge, dass nicht die FinB, sondern die StA für die Durchführung des Ermittlungsverfahrens zuständig war[7]. Andererseits konnte sich die FinB durch das Steuergeheimnis daran gehindert sehen, solche ihr bekannt gewordenen Manipulationen an die Strafverfolgungsbehörden weiterzugeben (s. § 386 Rz. 163 ff.). Dieser unbefriedigende Zustand sollte durch den neu eingefügten § 385 Abs. 2 AO beseitigt werden[8]. Die Bedeutung dieser Zuständigkeitsregelung hängt maßgeblich davon ab, ob man bei den sog. Vorspiegelungstaten an sich eine Steuerstraftat für gegeben hält, womit sich die Ermittlungskompetenz bereits aus § 386 Abs. 2 AO ergibt[9]. Nach inzwischen gewandelter Rspr. des BGH[10] ist dies der Fall, so dass der Anwendungsbereich der Vorschrift weitgehend leerläuft (s. Rz. 20 f.).

 

Rz. 6– 10

[Autor/Stand] Einstweilen frei.

[Autor/Stand] Autor: Hilgers-Klautzsch, Stand: 01.11.2020
[2] Vgl. auch Randt in JJR8, § 385 AO Rz. 2; Senge in Erbs/Kohlhaas, § 385 AO Rz. 1.
[Autor/Stand] Autor: Hilgers-Klautzsch, Stand: 01.11.2020
[5] Zu Recht krit. gegenüber der systematisch ungeschickten Platzierung der Vorschrift Rüping in HHSp., § 385 AO Rz. 9.
[6] Vgl. BGH v. 11.4.1972 – 1 StR 75/72, NJW 1972, 1287; BGH v. 28.1.1986 – 1 StR 611/85, UR 1986, 329 = wistra 1986, 172 m. abl. Anm. Würthwein, wistra 1986, 258; BayObIG v. 17.9.1987 – 3 StR 144/87, wistra 1988, 35.
[7] Vgl. auch Henneberg, INF 1977, 583 (587); BB 1977, 938 (941); Pfaff, Stbg 1978, 191.
[8] Vgl. dazu Begr. BT-Drucks. 7/4292, 46; krit. Müller, NJW 1977; 746 f.; Möllinger, Abgabenordnung, 1977, S. 402 (417); skeptisch gegenüber diesem Argument Randt in JJR8, § 385 AO Rz. 5.
[9] In diesem Sinne Müller, NJW 1977; 746 f. und Möllinger, Abgabenordnung, 1977, S. 402 (417), die die Vorschrift deshalb auch für überflüssig halten; vgl. auch Randt in JJR8, § 385 AO Rz. 4, 36.
[10] St. Rspr. seit BGH v. 1.2.1989 – 3 StR 179/88, BGHSt 36, 100 = UR 1990, 26 = wistra 1989, 226.
[Autor/Stand] Autor: Hilgers-Klautzsch, Stand: 01.11.2020

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