a) Grundsätzliche Überlegungen
Rz. 736
Steuerstrafrecht ist ein Schnittmengenrecht, das nur von demjenigen erfolgreich betrieben werden kann, der sich in beiden Teilmengen auskennt. Trotz juristischer Ausbildung ist man nicht überall dort Spezialist, wo ein Paragraphenzeichen steht, trotz steuerlicher Ausbildung nicht immer dann, wenn es um Zahlen geht. Niemand wird sich rühmen können, stets und in allen Bereichen juristisch und steuerlich auf der Höhe der Zeit zu sein. Nicht umsonst haben sich Fachanwaltschaften herausgebildet und auch Steuerberater werben mit besonderen Spezialkenntnissen. Der Steuerstrafverteidiger sollte sich von dem Gedanken frei machen, dass er in sämtlichen Bereichen des materiellen und prozessualen Straf- und Steuerrechts, einschließlich sämtlicher Einzelsteuergesetze, auf der Höhe der Zeit zu sein hat.
Rz. 737
Diese Erkenntnis stellt Anforderungen an den Steuerstrafverteidiger: Er muss bereit und fähig sein, im Team zu arbeiten. Dies ist für viele Freiberufler nicht selbstverständlich. Kommuniziert wird zwar mit der Gegenseite, das eigene Argument, der geliebte Schriftsatz, wird aber häufig allein im stillen Kämmerlein erarbeitet, abgeschirmt von der Welt. Auch dabei können großartige Ergebnisse entstehen, nur setzt dies voraus, dass man sowohl den Überblick als auch das juristische wie steuerliche Detailwissen für die in Rede stehende Frage und Branche hat. Anders als bei der Verteidigung einer Norm des Kernstrafrechts wird man sich dieses Detailwissen allein am Fall aber nicht erarbeiten können, wenn es sich bei den steuerstrafrechtlichen Geschehnissen um komplexe wirtschaftliche und steuerliche Gebilde handelt.
Rz. 738
Beispiele
Die Steuerhinterziehung durch einfache Nichterfassung eines Drittels der Bareinnahmen kann selbstverständlich auch ohne Hinzuziehung weiterer Experten gelöst werden. Aber bereits die Nacherklärung nicht erklärter Kapitalerträge ist komplizierter, als es auf den ersten Blick erscheinen mag. Die – zumal älteren – Jahreserträgnisbescheinigungen insbesondere ausländischer Banken beinhalten teilweise Fehler. Es gibt eine Vielzahl von Finanzmarktprodukten, deren steuerliche Einsortierung nicht immer klar ist. Zudem haben sich viele Regeln und Verwaltungsanweisungen über einen Nacherklärungszeitraum von 10 Jahren geändert. Die rechtliche Einsortierung muss für den Veranlagungszeitraum 10 nicht übereinstimmen mit der Qualifizierung im Veranlagungszeitraum 01.
Rz. 739
Wer sich damit nicht täglich beschäftigt, sollte fachkundigen Rat hinzuziehen, wie auch diejenigen fachkundigen Rat hinzuziehen sollten, die sich zwar tagein tagaus mit steuerlichen Spezialfragen befassen, aber die Notwendigkeiten und Fallstricke der §§ 153, 371 AO und § 370 AO nebst StGB und StPO nicht ausreichend im Blick haben.
Rz. 740
Der Steuerstrafverteidiger sollte sich in den Verästelungen des Steuerstrafrechts (AO) und des Strafrechts (insbesondere StGB, StPO, OWiG) bestens auskennen und neben den Grundrechenarten auch die Grundzüge der Hauptsteuerarten (EStG, KStG, UStG, LStG, ErbStG) und des Bilanzrechts inhaliert haben.
Rz. 741
Wenn der Fall über Standardfragen der vorgenannten Bereiche hinausgeht oder weitere Rechtsbereiche – etwa das Arbeitsrecht nach Verdachtskündigung – betrifft, wird der verteidigende Rechtsanwalt weitere (steuerliche), der verteidigende Steuerberater weitere juristische Spezialisten hinzuziehen. Je nach persönlichen Kenntnissen wird dies häufiger oder seltener geschehen. Es stellt sich die Frage, wen man einbezieht; dies gilt insbesondere mit Blick auf den bisherigen oder einen neuen Steuerberater.
Rz. 742– 745
Einstweilen frei.
b) Bisheriger Steuerberater
Rz. 746
Der bisherige steuerliche Berater wird bei einem sich abzeichnenden Steuerstrafverfahren oftmals der erste Ansprechpartner des Stpfl. sein. Auf den ersten Blick scheint es sich anzubieten, den bisherigen Steuerberater des Mandanten in die Bearbeitung einzubinden. Jedoch: Der bisherige Steuerberater ist befangen. Er ist oder kann noch Teil des Problems werden. Denn er hat – ob vorwerfbar oder nicht – an der fehlerhaften Buchhaltung/Steuererklärung mitgewirkt. Selbst wenn das Vertrauensverhältnis zwischen ihm und dem Mandanten andauern sollte und keine gegenseitigen Vorwürfe erhoben werden, kann sich das Problem ergeben, dass die Ermittler das Verfahren auf den Steuerberater ausdehnen und ihm gegenüber einen Beihilfevorwurf erheben. Unabhängig davon, ob dieser Beihilfevorwurf gerechtfertigt wäre oder nicht, wären in der Zwischenzeit erstellte Verteidigungsunterlagen nicht mehr sicher, denn sie könnten beim beschuldigten Steuerberater beschlagnahmt werden (§ 97 Abs. 2 StPO). Er könnte in einem solchen Fall – auch auf Antrag des FA – von der Verteidigung ausgeschlossen werden (§ 138a Abs. 1, § 138c Abs. 2 Satz 2 StPO, §§ 358, 399 AO), was teilweise zu der Annahme geführt hat, die Verteidigung durch den ständigen steuer...