Dr. Brigitte Hilgers-Klautzsch
Rz. 127
Die Gefahr der Selbstbelastung besteht auch, wenn der Stpfl. Einkünfte aus allgemeinen Straftaten (wie Korruptionsdelikte, Bilanzdelikte, Untreue etc.) in seiner Einkommensteuererklärung angeben muss. Für diese Taten besteht die Möglichkeit einer strafbefreienden Selbstanzeige nicht. Insoweit bietet auch das Verwendungsverbot des § 393 Abs. 2 AO wegen der Ausnahmen in Satz 3 keinen absoluten Schutz vor Strafverfolgung (s. Rz. 240 ff.). Nach Ansicht des BGH ist dennoch die Steuererklärungspflicht bzgl. allgemeiner Straftaten nicht suspendiert. Es komme aber eine Reduzierung der Erklärungspflicht dahin gehend in Betracht, dass die Einkünfte nur betragsmäßig, nicht aber deren Quelle bezeichnet werden müssten (s. Rz. 205 ff., 249 m.w.N.). Nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 10 Satz 3 EStG ist die FinB aber verpflichtet, bereits den Anfangsverdacht eines Korruptionsdelikts den Verfolgungsbehörden mitzuteilen, so dass das Entdeckungsrisiko für den Stpfl. hoch ist (s. Rz. 207). Angesichts dessen erscheint die Selbstbelastungsfreiheit wertlos.
Rz. 128
Die neuere Rspr. des BGH zum Nemo-tenetur-Grundsatz und der Suspendierung der Steuererklärungspflichten in den vorgenannten Fallkonstellationen hat jüngst noch einmal der BGH vom 22.3.2023 zusammengefasst (zit. s. § 370 Rz. 310.1). Demnach ist eine Strafbewehrung für die Abgabepflicht der Umsatzsteuerjahreserklärung suspendiert, wenn dem Betroffenen vor Ablauf der Abgabefrist die Einleitung eines Steuerstrafverfahrens für die Voranmeldungszeiträume desselben Jahres bekannt gegeben worden ist. Eine Suspendierung besteht ferner bei Ertragsteuererklärungen, wenn der Betroffene durch die Nichtabgabe bereits das Versuchsstadium erreicht hatte, die Tat aber noch nicht vollendet war, sowie im Verhältnis der Steuerhehlerei (§ 374 AO) zur Steuerhinterziehung. Zur Begründung verweist der BGH jeweils darauf, dass mit der Bekanntgabe des eingeleiteten Ermittlungsverfahrens eine wirksame Selbstanzeige gesperrt ist (vgl. § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b AO) bzw. eine Selbstanzeige für eine Steuerhehlerei nicht möglich ist. Mit Bekanntgabe der Verfahrenseinleitung sind zudem Zwangsmittel im Besteuerungsverfahren stets unzulässig (§ 393 Abs. 1 Satz 2, 3 AO).
Rz. 129
Die vorstehend dargestellte BGH-Rspr. wird zu Recht kritisiert (s. § 370 Rz. 304 ff. m.w.N.). Zum einen wird die Praxistauglichkeit der Lösungsansätze in Zweifel gezogen, auch was die Schätzungsmöglichkeiten der FinB angeht (s. Rz. 67 ff.). Schließlich erscheint auch das vom BGH propagierte begrenzte Verwendungsverbot letztlich wertlos, denn es gestattet den Strafverfolgungsbehörden darauf aufbauende Ermittlungen. Kein Strafverfolger kann die Kenntnis der in den Steuerakten befindlichen Steuererklärungen völlig ausblenden. Eine klarere, auch behördliche Trennung des Steuer- und Strafverfahrens würde die aufgezeigten Friktionen überwinden helfen. Auch wäre eine gesetzliche Normierung des Verwendungsverbotes entsprechend der Regelung in § 97 InsO unbedingt ratsam.
Rz. 130
Einstweilen frei.