Dr. Brigitte Hilgers-Klautzsch
Rz. 226
Das Verwendungsverbot des § 393 Abs. 2 Satz 1 AO ist von den Strafverfolgungsorganen (s. Rz. 210) im Ermittlungsverfahren und im gerichtlichen Verfahren wegen der Nichtsteuerstraftat ohne besondere Rüge von Amts wegen zu beachten.
Rz. 227
Erst im Revisionsverfahren muss der Verstoß gegen § 393 Abs. 2 Satz 1 AO mit der Verfahrensrüge (§ 344 Abs. 2 StPO) geltend gemacht werden. Die Verfahrensrüge setzt – anders als bei der Verletzung von Benachrichtigungs- und Belehrungspflichten gem. § 168c Abs. 5 StPO oder § 136 Abs. 1 Satz 2, § 163a Abs. 4 Satz 2 StPO – nicht voraus, dass der Angeklagte in der Hauptverhandlung der Verwendung widersprochen hat, da es sich um ein gesetzlich normiertes Verwertungsverbot handelt.
Rz. 228
Die unter den Voraussetzungen des § 393 Abs. 2 Satz 1 AO bekannt gewordenen Erkenntnisse dürfen nicht zur Verfolgung einer Nichtsteuerstraftat "verwendet" werden.
Wegen dieser gesetzlichen Terminologie besteht Streit, ob es sich um ein Verwendungs- oder Verwertungsverbot handelt.
Rz. 229
Unzulässig ist danach zumindest die unmittelbare Verwendung der sich aus den Steuerakten ergebenden Beweismittel bzw. Angaben des Stpfl. Auf diese gesperrten Beweismittel darf weder die Anklage noch die Eröffnung des Hauptverfahrens noch ein verurteilendes Erkenntnis wegen des Allgemeindelikts gestützt werden.
Rz. 230
Umstritten ist darüber hinaus, ob auch die Verwertung weiterer, erst aufgrund der Abs. 2 unterfallenden Angaben ermittelter Tatsachen oder Beweismittel zulässig ist. Es geht um die Frage, ob § 393 Abs. 2 Satz 1 AO Fernwirkung entfaltet (s. dazu grundlegend § 385 Rz. 1053 ff.).
Rz. 231
Nach einer Ansicht handelt es sich um ein strafprozessuales Verwertungsverbot, bei dem – aus den gleichen Gründen wie bei § 136a StPO (s. Rz. 175 ff.) – grundsätzlich eine Fernwirkung abgelehnt wird. Anderen von der Mitwirkung des Stpfl. unabhängigen Erkenntnisquellen dürften die Strafverfolgungsbehörden nachgehen.
Rz. 232
Nach Tormöhlen sind weitere Ermittlungen in Kenntnis der belastenden Mitteilungen verboten. Dies sei aber keine Frage der Fernwirkung, sondern ergebe sich aus der unmittelbaren Anwendung des § 393 Abs. 2 Satz 1 AO. Der Begriff der "Verwendung" decke alle Verfolgungsmaßnahmen ab, die durch die erlangten Kenntnisse veranlasst seien. Im Übrigen erkennt er eine Fernwirkung dann an, wenn sich das Strafverfolgungsorgan bewusst über das Verbot des § 393 Abs. 2 Satz 1 AO hinweggesetzt habe.
Rz. 233
Die überwiegende Ansicht in der Literatur befürwortet dagegen – gerade auch wegen der gesetzlichen Umschreibung – ein Verwendungsverbot, das nicht mit einem allgemeinen Beweisverwertungsverbot zu vergleichen sei (zu § 136a StPO s. Rz. 158 ff.). Wegen § 40 AO sei der Stpfl. aus rein fiskalischen Gründen sogar unter Zwangsandrohung verpflichtet, illegale Einkünfte und damit Straftaten zu offenbaren. Hier kann nur durch einen umfassenden Schutz vor Strafverfolgung sichergestellt werden, dass die pflichtgemäße Mitwirkung nicht zur Grundlage einer strafrechtlichen Verurteilung wird.
Rz. 234
Dem ist zuzustimmen. Auch aus dem sog. Gemeinschuldner-Beschluss des BVerfG vom 13.1.1981 lässt sich ableiten, dass die außerhalb des Strafverfahrens erzwungene Selbstbelastung nicht strafrechtlich gegen den Stpfl. verwendet werden darf, will man ihn nicht als Beschuldigten schlechterstellen, nur weil er Stpfl. ist. So ist auch zu berücksichtigen, ob das Beweismittel auf rechtmäßigem Wege hätte erlangt werden können. Das bedeutet auf § 393 Abs. 2 Satz 1 AO übertragen, dass fraglich ist, ob die Erkenntnisse über die nichtsteuerlichen Straftaten auch auf anderem Wege als aus den Steuerakten hätten gewonnen werden können, was regelmäßig zu verneinen ist. Damit enthält die Vorschrift praktisch ein Ermittlungsverbot.
Rz. 234.1
Das BVerfG und auch der BGH (s. dazu Rz. 244 f.) differenzieren – ohne auf den vorgenannten Streit einzugehen – nach Art der Mitwirkungshandlung: Danach wären durch eigene Aussagen des Stpfl. gewonnene Erkenntnisse und darauf aufbauende Beweismittel nicht verwertbar, wohl aber solche, die auf anderweitigen, allgemein-gesetzlichen Aufzeichnungs- und Vorlagepflichten beruhen.
Rz. 235
Im Übrigen kann ein Verstoß gegen § 393 Abs. 2 Satz 1 AO eine disziplinarrechtliche oder strafrechtliche (§ 355 StGB – Verletzung des Steuergeheimnisses) Ahndung oder einen Schadensersatzanspruch wegen Amtspflichtverletzung (§ 831 BGB i.V.m. Art. 34 GG) zur Folge haben.
Rz. 236– 239
Einstweilen frei.