Rz. 38
Die Möglichkeit der Aussetzung besteht bis zum rechtskräftigen Abschluss des Besteuerungsverfahrens. Das Besteuerungsverfahren ist rechtskräftig abgeschlossen mit der Unanfechtbarkeit des Steuerbescheids oder der Einspruchsentscheidung (§§ 366, 367 AO) bzw. mit der Rechtskraft des finanzgerichtlichen Urteils. Voraussetzung für die Anwendung des § 396 AO ist, dass ein Steueranspruch besteht (vgl. § 38 AO), über den noch entschieden werden kann, d.h. er darf noch nicht (etwa wegen Verjährung gem. § 169 Abs. 1 Satz 1 AO) erloschen sein.
Rz. 39
Die früher h.M. ging unter Berufung auf den Sinn und Zweck des § 396 AO davon aus, dass das Verfahren auch dann ausgesetzt werden könne, wenn die FinB noch kein steuerliches Ermittlungsverfahren eingeleitet hat, dies aber rechtlich möglich und beabsichtigt ist.
Inzwischen hat sich die h.M. in der Literatur jedoch dahin gehend geändert, dass die Aussetzung des Strafverfahrens nur dann zulässig ist, wenn ein Besteuerungsverfahren bereits eingeleitet ist. Dem ist zuzustimmen. Dies ergibt sich zunächst schon aus dem Wortlaut der Norm. Dieser lässt eine Aussetzung des Strafverfahrens nur zu, bis das Besteuerungsverfahren abgeschlossen ist. Im Umkehrschluss bedeutet dies aber, dass ein Besteuerungsverfahren auch eingeleitet worden sein muss, da dann überhaupt nur ein Verfahren existiert, das abgeschlossen werden kann. Zudem hätte eine Aussetzung des Strafverfahrens vor Einleitung des Besteuerungsverfahrens aufgrund der Rechtsfolge des § 396 Abs. 3 AO (Ruhen der Verfolgungsverjährung) die für den Beschuldigten nachteilige Folge, dass der Lauf der Verjährung gehemmt wäre, obwohl weder ein Strafverfahren noch ein Besteuerungsverfahren betrieben wird. Ein solches Ergebnis ist im Hinblick auf das Beschleunigungsgebot des Art. 6 Abs. 1 MRK (s. Rz. 19) jedoch nicht tragbar. § 396 AO beinhaltet eine Ausnahme von dem Beschleunigungsgebot, um widerstreitende Entscheidungen zu vermeiden, indem die in dem Besteuerungsverfahren gefundenen Ergebnisse in dem Strafverfahren verwendet werden können (s. Rz. 13 ff.). Wurde ein Besteuerungsverfahren hingegen noch gar nicht eingeleitet, würde durch eine Aussetzung des Strafverfahrens der Zweck des § 396 AO leerlaufen.
Rz. 40
Nach rechtskräftigem Abschluss des Besteuerungsverfahrens, also nach Ablauf der Rechtsbehelfsfrist oder wirksamem Verzicht auf Einspruch oder Klage, ist die Aussetzung ausgeschlossen. Die Aussetzung der Hauptverhandlung kommt dagegen noch in Betracht während der Frist einer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Finanzstreitverfahren.
Rz. 41
Die Aussetzung des Verfahrens ist m.E. auch dann geboten, wenn der Beschuldigte nach Erschöpfung des Finanzrechtswegs Verfassungsbeschwerde beim BVerfG erhoben hat. Das Steuerstrafrecht ist nämlich in besonderem Maße vom Steuerrecht abhängig, was dazu führen muss, dass bis zur abschließenden Entscheidung über die Verfassungsgemäßheit eines Einzelsteuergesetzes durch das BVerfG von den Aussetzungsmöglichkeiten Gebrauch gemacht werden kann. Hat hingegen das FG bzw. der BFH Zweifel an der Verfassungsgemäßheit einer entscheidungserheblichen Steuernorm, so dass das Gericht das finanzgerichtliche Verfahren aussetzt und eine Vorlage an das BVerfG gem. Art. 100 GG vornimmt, ist das Besteuerungsverfahren unzweifelhaft noch nicht abgeschlossen, so dass auch eine Aussetzung des Steuerstrafverfahrens nach § 396 AO möglich bleibt.