Rz. 32
Die Befugnis, das Strafverfahren wegen anderer als der in § 396 Abs. 1 AO genannten Vorfragen auszusetzen (§§ 154d, 262 StPO), lässt § 396 AO unberührt. Allerdings ist § 396 AO als spezifische steuerstrafverfahrensrechtliche Vorschrift gegenüber den §§ 154d, 262 StPO die speziellere Vorschrift. Liegen ihre Voraussetzungen vor, so ist gem. § 385 Abs. 1 AO für die Anwendung der §§ 154d, 262 StPO kein Raum mehr. Eine Aussetzung des Verfahrens nach den §§ 154d, 262 StPO kommt daher nur in Betracht, wenn die Voraussetzungen des § 396 AO nicht gegeben sind.
Dies ist insbesondere in Anbetracht des Umstands bedeutsam, dass bei einer Aussetzung gem. § 396 AO die Verjährung ruht (§ 396 Abs. 3 AO), während das bei einer Aussetzung nach den Vorschriften der StPO nicht der Fall ist; auch eine entsprechende Anwendung des § 396 Abs. 3 AO findet insoweit nicht statt.
Rz. 33
Nach § 154d StPO kann die StA zur Austragung einer verfahrensabhängigen zivilrechtlichen oder öffentlich-rechtlichen Vorfrage zur Erhebung der entsprechenden Klage eine Frist bestimmen (§ 154d Satz 1 StPO). Der Anzeigeerstatter ist hiervon zu benachrichtigen (§ 154d Satz 2 StPO). Nach fruchtlosem Ablauf der Frist kann die StA das Verfahren einstellen (§ 154d Satz 3 StPO). Die Fristbestimmung und das Abwarten des Ausgangs des vorgreiflichen zivil- oder verwaltungsrechtlichen Verfahrens führen faktisch zu einer Aussetzung. § 154d StPO gilt nur für Vergehen. Für arbeits- und sozialrechtliche Vorfragen gilt § 154d StPO entsprechend.
Die Vorschrift soll die StA in Anzeigefällen nicht dazu zwingen, schwierige rechtliche Vorfragen (z.B. Urheberrechtsverletzungen), die in erster Linie zivil- oder verwaltungsrechtliche Bedeutung haben, klären zu müssen, so dass sie die Ermittlungsarbeit für den Anzeigeerstatter macht und dieser die Erkenntnisse und Beweiserhebung aus dem Strafverfahren bloß als Druckmittel auf den Gegner oder für einen anderen Prozess nutzt. Die Norm verkörpert damit den Gedanken, dass die StA bzw. deren Ermittlungsmöglichkeiten nicht durch eine Anzeige für außerhalb des Strafrechts liegende Zwecke missbraucht werden soll.
§ 396 AO ähnelt der allgemeinen strafprozessualen Aussetzungsmöglichkeit des § 154d StPO. Insbesondere die Vorfragenabhängigkeit und die Entscheidung im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens sind nach beiden Normen ähnlich, wobei § 396 AO lex specialis für Steuerstrafsachen ist.
Rz. 34
Nach § 262 Abs. 1 StPO entscheidet das Strafgericht, wenn die Strafbarkeit einer Handlung von der Beurteilung eines bürgerlichen Rechtsverhältnisses abhängt, auch über dieses nach den für das Verfahren und den Beweis in Strafsachen geltenden Vorschriften. Das Strafgericht hat damit grds. die Vorfragenkompetenz in zivilrechtlichen Fragen. Eine Bindung an rechtskräftige Entscheidungen anderer Gerichte (mit Ausnahme rechtskräftiger Zivilurteile) besteht nicht. Nach § 262 Abs. 2 StPO ist das Gericht jedoch befugt, die Untersuchung auszusetzen und einem Beteiligten zur Erhebung der Zivilklage eine Frist zu bestimmen oder das Urteil des Zivilgerichts abzuwarten.
Hinsichtlich der Vorfragenabhängigkeit und der Entscheidung aufgrund sachgerechter Ermessensausübung ähnelt § 262 StPO dem § 396 AO. Die §§ 154d, 262 StPO und § 396 AO grenzen sich jedoch dergestalt voneinander ab, dass sich § 154d StPO bei Vergehen an die StA richtet und als Schutzzweck zumindest auch den Schutz vor Missbrauch der StA bzw. deren Ermittlungsmöglichkeiten beinhaltet, während sich § 262 StPO (bei Vergehen und Verbrechen) an das Gericht wendet. Demgegenüber gilt die Aussetzungsmöglichkeit nach § 396 AO speziell für Steuerstrafverfahren und wendet sich dabei sowohl an die Ermittlungsbehörden (StA/BuStra) als auch an das Gericht (§ 396 Abs. 2 AO).