Rz. 319
Hat der Täter oder Teilnehmer durch eine rechtswidrige Tat oder für sie etwas erlangt, ordnet das Gericht dessen Einziehung an (§ 73 Abs. 1 StGB). Die Einziehung ist ausgeschlossen, soweit der Anspruch, der dem Verletzen aus der Tat auf Rückgewähr des Erlangten oder auf Ersatz des Wertes des Erlangten erwachsen ist, erloschen ist (§ 73e Abs. 1 Satz 1 StGB). Dies gilt nach § 73e Abs. 1 Satz 2 StGB nicht für Ansprüche, die durch Verjährung erloschen sind (s. auch § 375a Rz. 3 ff., 26 ff.).
Rz. 320
Einzelheiten zum zeitliche Anwendungsbereich der Neureglung werden durch Sonderregelungen im EGStGB definiert. Gemäß Art. 316j EGStGB ist, wenn über die Anordnung der Einziehung des Tatertrages oder des Wertes des Tatertrages wegen einer Tat, die vor dem 29.12.2020 begangen worden ist, nach diesem Zeitpunkt entschieden wird, abweichend von § 2 Abs. 5 StGB § 73e Abs. 1 Satz 2 StGB in der am 29.12.2020 geltenden Fassung anzuwenden ist, wenn
Rz. 321
Für Taten mit einem Verkürzungsbetrag von mehr als 50.000 EUR die vor dem 29.12.2020 begangen wurden gilt die Einziehung rückwirkend für alle verkürzten Steuern und erlangten Vorteile bis zur Grenze des § 76b StGB. Hierbei handelt es sich um einen Fall der echten Rückwirkung.
Rz. 322
Für alle Taten mit einem Verkürzungsbetrag bis zu 50.000 EUR gilt die Einziehung rückwirkend für alle Steueransprüche, die mit Ablauf des 1.7.2020 nicht steuerlich verjährt sind. Auch hierbei handelt es sich um einen Fall der echten Rückwirkung. Vertrauensschutz besteht wegen der Regelung des § 375a AO, der für den Zeitraum 1.7.2020 bis 28.12.2020 galt, nicht.
Rz. 323
Für Taten mit einem Verkürzungsbetrag bis zu 50.000 EUR außerhalb von § 47 AO gilt die Einziehung rückwirkend für alle Ansprüche, die bei Inkrafttreten des neuen Gesetzes am 29.12.2020 noch nicht durch Verjährung erloschen waren (Fall der unechten Rückwirkung).
Rz. 324
Mit Beschluss vom 7.4.2022 entschied das BVerfG, dass die im Zuge des Jahressteuergesetzes 2020 eingeführte Regelung des Art. 316j EGStGB verfassungskonform ist. Ähnlich zu der Grundsatzentscheidung des BGH in Bezug auf Art. 316h EGStGB hinsichtlich der Verlängerung der Verjährungsfrist geht das BVerfG von einer zulässigen "echten Rückwirkung" aus. Diese sei aufgrund "überragender Belange des Gemeinwohls" ausnahmsweise zulässig.
Rz. 325
So genannte "echte Rückwirkungen" sind verfassungsrechtlich grds. unzulässig. Es gilt der allgemeine Rechtsgrundsatz "nulla poena sine lege praevia, certa". Das bedeutet die Strafe muss vor Begehung der Tat gesetzlich bestimmt sein. So genannte echte Rückwirkungen oder tatbestandliche Rückanknüpfungen sind nur dann ausnahmsweise zulässig, wenn überragende Belange des Allgemeinwohls, welche dem Prinzip der Rechtssicherheit vorgehen, rückwirkende Beseitigungen erfordern. In diesen Fällen habe der Vertrauensschutz zurückzutreten. Denn, so das BVerfG, das Rückwirkungsverbot finde im Grundsatz des Vertrauensschutzes nicht nur seinen Grund, sondern auch seine Grenze. Für die Steuerhinterziehung ist insbesondere das Konkurrenzverhältnis der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung zur Erlöschensnorm des § 47 AO von Bedeutung, wonach Ansprüche aus dem Steuerverhältnis durch Zahlung, Aufrechnung, Erlass, Verjährung oder durch den Eintritt der Bedingung bei auflösend bedingten Ansprüchen erlöschen.
Rz. 326
Das BVerfG geht davon aus, der Gesetzgeber habe sich mit der Neuregelung der Vermögensabschöpfung im Jahre 2017 für ein Nebeneinander von Einziehungsansprüchen einerseits und Ansprüchen der Geschädigten andererseits entschieden, die sich in ihren Voraussetzungen, ihrem Umfang und ihrem Verjährungsregime unterscheiden. Aufgrund der Eigenständigkeit der Einziehung handele es sich auch bei Einziehungsentscheidungen im Hinblick auf Steuerhinterziehungen nicht um eine Steuererhebung, so dass die die Steuern betreffenden finanzverfassungsrechtlichen Regelungen nicht von Belang seien. Einen Wertungswiderspruch erkennt das BVerfG nicht.
Rz. 327
Sodann gelangt das BVerfG zu der Annahme, dass der Anwendungsbereich von Art. 103 Abs. 2 GG nicht eröffnet ist. Dieser sei auf staatliche Maßnahmen beschränkt, die eine missbilligende Reaktion auf ein rechtswidriges, schuldhaftes Verhalten darstellen und wegen dieses Verhaltens ein Übel verhängen, das dem Schuldausgleich dient, mithin eine Strafe darstellen. Die Vermögensabschöpfung ist nach Ansicht des BVerfG keine dem Schuldgrundsatz unterliegende Nebenstrafe, sondern eine Maßnahme eigener Art mit kondiktionsähnlichem Charakter, für die das strafrechtliche Rüc...