Dr. Brigitte Hilgers-Klautzsch
Rz. 37
Hinsichtlich des Ablaufs des selbständigen Einziehungsverfahrens enthält die AO keine besonderen Bestimmungen. In § 401 AO wird lediglich auf § 435 StPO verwiesen, der in Abs. 3 auf die entsprechende Anwendung der §§ 201–204, §§ 207, 210 und 211 sowie §§ 424–430 und § 433 StPO verweist. Seit der Neufassung der Vorschriften zum 1.7.2017 ist ein Zwischenverfahren durchzuführen, so dass ein Eröffnungsbeschluss nach §§ 203, 207 StPO erforderlich ist. Soweit die Voraussetzungen des Verfahrens nicht vorliegen, ergeht ein Nichteröffnungsbeschluss nach § 204 StPO. Der Eröffnungsbeschluss ist durch den Einziehungsbeteiligten nicht anfechtbar (§ 210 Abs. 1 StPO). Die StA kann die Nichteröffnung nach § 210 Abs. 2 StPO mit der sofortigen Beschwerde angreifen.
Im Übrigen bewendet es bei der in § 385 Abs. 1 AO enthaltenen generalklauselartigen Verweisung auf die "Gesetze über das Strafverfahren, namentlich die Strafprozessordnung ...". Vor allem sind auch die §§ 111b–111q StPO über die (vorläufige) Sicherstellung von Einziehungsgegenständen zu beachten (s. dazu § 385 Rz. 451 ff.).
Bezüglich der in § 435 Abs. 3 StPO enthaltenen Verweisung auf die §§ 424–430 und § 433 StPO sind folgende Punkte hervorzuheben:
Rz. 38
Nach dem neuen Recht der Vermögensabschöpfung ist zwischen dem Einziehungsbeteiligten (§ 424 Abs. 1 Satz 1 StPO) und dem Nebenbetroffenen (§ 438 StPO) zu unterscheiden.
Einziehungsbeteiligte sind Personen, die von den Maßnahmen im Falle der Anordnung betroffen sind. Obwohl ein Angeklagter fehlt, sind sie am Verfahren zu beteiligen (§ 424 Abs. 1 Satz 1 StPO). Ihnen sind die Anklageschrift sowie der Eröffnungsbeschluss mitzuteilen (§ 429 Abs. 2 AO). Wird die Einziehung im Strafbefehlsverfahren angeordnet, ist dem Einziehungsbeteiligten der Strafbefehl zuzustellen (§ 432 Abs. 1 StPO). Sie sind unter den Voraussetzungen des § 426 StPO anzuhören. Ihnen stehen die gleichen Befugnisse zu, die einem Angeklagten zustehen (§ 427 StPO). Der Einziehungsbeteiligte kann sich durch einen Rechtsanwalt oder einen Verteidiger vertreten lassen (§ 428 StPO). Die §§ 429 und 430 StPO betreffen die Ladung des Einziehungsbeteiligten zur Hauptverhandlung und die Rechtsfolgen seines Ausbleibens.
Für den Nebenbetroffenen, also denjenigen, der durch die Anordnung der Einziehung gegenüber dem Angeklagten oder einem anderen Anordnungsadressaten einen Rechtsverlust erleiden kann (vgl. § 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 2 und 3 StGB), gelten die vorstehenden Vorschriften entsprechend.
Rz. 39
Der Antrag der FinB ist an das Gericht zu richten, das im Falle der Strafverfolgung einer bestimmten Person sachlich zuständig wäre (§ 436 Abs. 1 StPO). Das ist nicht nur das "Steuer-Amtsgericht", sondern unter Umständen – je nach Straferwartung oder Bedeutung der Sache – auch das LG (s. § 391 Rz. 75 f.). Im Hinblick auf die in Rede stehenden Delikte (Steuerhinterziehung, Bannbruch, Steuerhehlerei) und deren Schweregrad kommen in Betracht:
- der Strafrichter beim AG bei Vergehen, wenn Freiheitsstrafe von höchstens zwei Jahren zu erwarten wäre (§§ 24, 25 Nr. 2 GVG);
- das Schöffengericht beim AG bei schwereren Vergehen und einer Straferwartung von nicht mehr als vier Jahren Freiheitsstrafe (§§ 24 Abs. 2, §§ 28, 29 Abs. 1 GVG);
- das erweiterte Schöffengericht, wenn die Sache einen besonderen Umfang aufweist (§ 29 Abs. 2 GVG);
- die große Strafkammer beim LG (Wirtschaftsstrafkammer), wenn eine höhere Strafe als vier Jahre Freiheitsstrafe zu erwarten wäre oder wenn wegen der besonderen Bedeutung des Falles beim LG angeklagt werden würde (§ 74 Abs. 1, § 74c Abs. 1 Nr. 3 GVG).
Im Hinblick auf die breit gefächerte Zuständigkeitsregelung hat die FinB also vor Stellung des Antrags zu überlegen, bei welchem Gericht wegen der zugrunde liegenden Tat Anklage zu erheben wäre – vorausgesetzt, die Verfolgung eines Täters wäre tatsächlich und rechtlich möglich.
Rz. 40
Was die örtliche Zuständigkeit anlangt, werden die in erster Linie bedeutsamen drei Gerichtsstände (Tatort, § 7 Abs. 1 StPO; Wohnsitz, § 8 Abs. 1 StPO; Ort der Ergreifung, § 9 StPO), um den des Orts der Sicherstellung des Gegenstandes erweitert (§ 436 Abs. 1 Satz 2 StPO).
Rz. 41
Das mit dem Antrag befasste Gericht prüft zunächst dessen Zulässigkeit. Dabei kommt der Frage, ob er den gesetzlichen Anforderungen des § 435 Abs. 1 StPO i.V.m. § 76a StGB genügt, entscheidende Bedeutung zu. Hierhin gehört auch die nach § 76a StGB erforderliche Feststellung, dass keine bestimmte Person verfolgt oder verurteilt werden kann. Umstritten ist dabei, ob das Gericht insoweit eine unbeschränkte Prüfungskompetenz hat. Bei der Nichtverfolgbarkeit handelt es sich um ein Verfahrenshindernis, das in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu beachten ist und zur Verfahrenseinstellung führt. Zu den an den Antrag zu stellenden gesetzlichen Anforderungen gehört weiter die Prüfung der Frage, ob die Anordnung zu erwarten ist (s. Rz. 36). Gelangt das Geri...