Dr. Brigitte Hilgers-Klautzsch
Rz. 9.1
Für das allgemeine Bußgeldverfahren bestimmt § 40 OWiG, dass die StA für die Verfolgung einer Tat (im verfahrensrechtlichen Sinne) auch unter dem rechtlichen Gesichtspunkt einer Ordnungswidrigkeit zuständig ist. Diese (primäre) Zuständigkeit der StA ist also bei der Ermittlung von Straftatbeständen ohne weiteres gegeben. Es bedarf nicht erst der Übernahme des Verfahrens, wie dies bei § 42 OWiG der Fall ist.
Der Sinn dieser Regelung liegt darin, dass sich die Anklage oder der Strafbefehlsantrag der StA einheitlich auf denselben strafrechtlich relevanten Lebensvorgang beziehen soll. Dadurch wird die vom Gesetz geforderte (§ 82 Abs. 1 OWiG) einheitliche Ahndung der Tat durch das Gericht gewährleistet. Seine Entscheidung über die Straftat/Ordnungswidrigkeit (Freispruch) schließt eine spätere Ahndung der Ordnungswidrigkeit aus (§ 84 OWiG, s. Rz. 135). Bei einer Verurteilung findet bei tateinheitlichem Zusammentreffen von Straftat und Ordnungswidrigkeit nur das Strafgesetz Anwendung (§ 21 OWiG, s. dazu und zum besonderen Konkurrenzverhältnis von Steuerstraf- und Bußgeldtatbeständen § 377 Rz. 145 ff.). Eigenständige Bedeutung erlangt die Ordnungswidrigkeit im Strafverfahren daher z.B., wenn Tatmehrheit zwischen Straftat und Bußgeldtatbestand besteht (z.B. bei der Dauerordnungswidrigkeit der unerlaubten Handwerksausübung gem. § 8 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. e SchwarzArbG und zeitgleicher Steuerhinterziehung und Vorenthalten von Arbeitsentgelt gem. § 370 AO, § 266a StGB) oder die Straftat (z.B. der Vorsatz) nicht erwiesen ist.
Durch § 40 OWiG wird die StA gleichzeitig in den Stand gesetzt, das Ermittlungsverfahren nicht nur hinsichtlich der Straftat, sondern auch bzgl. der Ordnungswidrigkeit einzustellen (zur Beteiligung der FinB in diesen Fällen s. Rz. 14 f.).
Rz. 10
Der FinB ist wegen ihrer Sachnähe und Sachkunde nach § 386 Abs. 2 AO mit einigen Ausnahmen die Verfolgungskompetenz bei Steuerstraftaten eingeräumt. Sie nimmt insoweit die Rolle der StA ein (s. dazu die Ausführungen zu § 386). Sie ist deshalb auch für die damit zusammenhängenden Steuerordnungswidrigkeiten zuständig. Die StA ist daher in diesen Fällen nur dann befugt, wenn die Verfolgungskompetenz gem. § 386 Abs. 4 Satz 1 und 2 AO auf sie übergegangen (s. § 386 Rz. 116 ff.) oder wegen Zusammentreffens der Tat mit einem Allgemeindelikt ihre Zuständigkeit begründet ist (s. § 386 Rz. 89 ff.).
Beispiel
In Anbetracht der Schwere und Bedeutung der erhobenen Vorwürfe zieht die StA das Ermittlungsverfahren gegen den Unternehmer U wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung (§ 370 AO) gem. § 386 Abs. 4 Satz 2 AO an sich. Die StA kann die Tat i.S.d. § 264 StPO auch daraufhin untersuchen, ob U die Steuerverkürzung (nur) leichtfertig (§ 378 AO) begangen hat oder ob er im Zusammenhang damit Steuergefährdungstatbestände (§§ 379–382 AO) verwirklicht hat.