Dr. Brigitte Hilgers-Klautzsch
Rz. 129
Im Gegensatz zu § 81 OWiG bestimmt § 82 Abs. 1 OWiG, dass das Gericht im Strafverfahren die in der Anklage (oder dem Strafbefehlsantrag) bezeichnete Tat zugleich unter dem rechtlichen Gesichtspunkt einer Ordnungswidrigkeit beurteilt.
Da eine Straftat gegenüber einer tateinheitlich begangenen Steuerordnungswidrigkeit materiell den Vorrang hat (vgl. § 19 OWiG), setzt die Beurteilung der Tat als Steuerordnungswidrigkeit voraus, dass das Gericht eine Straftat entweder für nicht erwiesen hält oder aus sonstigen Gründen keine Strafe verhängt.
Rz. 130
Will das Gericht nach Eröffnung der Hauptverhandlung die Tat nur als Steuerordnungswidrigkeit mit einer Geldbuße ahnden, muss es den Angeklagten gem. § 265 StPO auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes aufmerksam machen. Trotz des Hinweises bleibt das Verfahren ein Strafverfahren.
Aus der Fassung des § 82 Abs. 1 OWiG ("die in der Anklage bezeichnete Tat") und aus Abs. 2 folgt, dass die einheitliche Beurteilung der Tat nicht erst in der Hauptverhandlung, sondern schon im Zwischenverfahren (§§ 199 ff. StPO), d.h. bei der Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens, möglich sein soll.
Beispiel
Die StA hat bei Gericht Anklage gegen K wegen Steuerhinterziehung (§ 370 AO) erhoben. Das Gericht hält die Anhaltspunkte für ein vorsätzliches Handeln des K nicht für ausreichend und verneint deshalb insofern den hinreichenden Tatverdacht.
Da jedoch die Ahndung der Tat als leichtfertige Steuerverkürzung (§ 378 AO) in Betracht kommt, lässt das Gericht die Anklage unter dem rechtlichen Gesichtspunkt einer Steuerordnungswidrigkeit zu (§§ 203, 207 Abs. 2 Nr. 3 StPO; § 82 Abs. 2 OWiG).
Erachtet das Gericht eine Ahndung der Steuerordnungswidrigkeit nicht für geboten, so kann es nach entsprechender Beteiligung der StA und des FA (s. Rz. 108) in dem Beschluss, durch den es die Eröffnung des Hauptverfahrens ablehnt, das Verfahren wegen der Steuerordnungswidrigkeit einstellen (vgl. § 47 Abs. 2 OWiG). Das Gericht beurteilt die Tat auch dann einheitlich i.S.v. § 82 OWiG, wenn die StA – bei Steuervergehen das FA (§ 400 AO) – einen Strafbefehl beantragt (zu den Einzelheiten dieser "Zwischenprüfung" vgl. § 408 Abs. 2 StPO).
Lässt das Gericht die Anklage zur Hauptverhandlung nur unter dem rechtlichen Gesichtspunkt einer Steuerordnungswidrigkeit zu, so sind in dem weiteren Verfahren die besonderen Vorschriften über das gerichtliche Bußgeldverfahren (z.B. die §§ 72–80, § 48 OWiG) anzuwenden (vgl. § 82 Abs. 2 OWiG). In diesem Fall findet also ein Übergang vom Straf- zum Bußgeldverfahren statt.