Entscheidungsstichwort (Thema)
Vermutung. Betriebsbedingte Kündigung in der Insolvenz
Leitsatz (amtlich)
1. Da § 125 Abs. 1 Satz 1 InsO voraussetzt, dass es sich um eine Betriebsänderung i. S. des § 111 BetrVG handelt, kommt es auch im Rahmen des § 125 InsO zunächst darauf an, inwieweit eine Stilllegung des Betriebs oder eine Betriebsveräußerung geplant waren (wie BAG 16.05.2002 – 8 AZR 319/01 – EzA § 613 a BGB Nr. 210).
2. Für den im Rahmen des § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO vom Insolvenzverwalter zu erbringenden Nachweis einer geplanten Stilllegung des Betriebs reichen u. U. die Kündigung aller Arbeitnehmer und der Entschluss zu einer sog. Ausproduktion nicht aus, wenn es kurze Zeit (hier: circa einen Monat) nach dem Abbruch von Verhandlungen über eine Betriebsveräußerung mit demselben Interessenten doch noch zu einem Betriebsübergang nach § 613 a Abs. 1 Satz 1 BGB kommt.
Normenkette
BGB § 613a Abs. 1; KSchG § 1 Abs. 2; InsO § 125 Abs. 1; BetrVG § 111
Verfahrensgang
ArbG Wuppertal (Urteil vom 26.06.2002; Aktenzeichen 6 Ca 1781/02 v) |
Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers wird dasUrteil des Arbeitsgerichts Wuppertal vom26.06.2002 – 6 Ca 1781/02 v – abgeändert:
Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung des Beklagten vom 27.03.2002 nicht aufgelöst worden ist.
2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.
3. Die Revision wird für den Beklagten zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten ordentlichen Kündigung.
Die Firma S., Schloss- und Zylindertechnik GmbH (im Folgenden: Schuldnerin) mit Sitz in V. wurde im Rahmen der Umstrukturierung der T.-Gruppe im Jahre 1999 gegründet und übernahm danach das im Betrieb der Firma G. Schließsysteme GmbH & Co. KG (im Folgenden: G.) vorhandene Personal. Sonstige Vermögenswerte übernahm die Schuldnerin nicht.
Am 14.03.2002 schlossen die Schuldnerin und die Firma G. einen Rahmenvertrag. Dieser sieht vor, dass die Firma G. der Schuldnerin die gesamte Produktion für Eigenprodukte mit Markenzeichen G. aus dem Bereich Schlösser, Beschläge und Zylinder überträgt und die Schuldnerin ihrerseits der Firma G. einmal im Monat die von ihr erbrachten Leistungen zuzüglich Umsatzsteuer in Rechnung stellen soll. Gemäß seinem § 8 kann der Rahmenvertrag von jedem Vertragspartner mit einer ordentlichen Frist von sechs Monaten zum Quartalsende gekündigt werden.
Der am 09.02.1948 geborene Kläger ist seit September 1967 bei der Schuldnerin bzw. ihrer Rechtsvorgängerin als Maschinenarbeiter zuletzt mit einem monatlichen Bruttogehalt von 1.482,75 EUR beschäftigt.
Das Amtsgericht Wuppertal eröffnete durch Beschluss vom 01.01.2002 – 145 IN 400/01 – das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin und bestellte den Beklagten zum Insolvenzverwalter. Am gleichen Tag wurde durch Beschluss desselben Gerichts – 145 IN 399/01 – das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Firma G. eröffnet und Herr Rechtsanwalt W. zum Insolvenzverwalter bestellt.
Entsprechend dem Rahmenvertrag vom 14.03.2000 hielten beide Insolvenzverwalter den Geschäftsbetrieb zunächst aufrecht. Zu diesem Zweck stellte der Insolvenzverwalter der Firma G. der Schuldnerin das für die Produktion benötigte Rohmaterial sowie die hierzu benötigten Werkzeuge zur Verfügung. Gleichzeitig wurde der Schuldnerin durch die Firma G. gestattet, die im Eigentum der G. verbleibenden Produktionsmaschinen zu benutzen.
Der Insolvenzverwalter der Firma G., Herr Rechtsanwalt W., führte im Januar und Februar 2002 Gespräche mit verschiedenen Kaufinteressenten. Als einziger ernsthafter Interessent verblieb in den Gesprächen von Herrn Rechtsanwalt W. eine Firma C. aus M.. Mit dieser Firma wurde Anfang März 2002 weiterverhandelt. Herr Rechtsanwalt W. forderte die Firma C. auf, Finanzierungszusagen ihrer Banken für den in Aussicht genommenen Kaufpreis vorzulegen. Dies sollte abschließend bis zum 18.03.2002 geschehen. Bis zum Ablauf dieses Termins legte die Firma C. keinerlei Zahlungszusage vor. Daraufhin entschloss sich nach Behauptung des Beklagten Herr Rechtsanwalt W. am 19.03.2002, den Geschäftsbetrieb der Firma G. zum 30.06.2002 stillzulegen. Da die Schuldnerin der Firma G. nur das Personal stellte, entschied sich der Beklagte angeblich, den Geschäftsbetrieb der Schuldnerin ebenfalls zum 30.06.2002 stillzulegen.
Am 20.03.2002 schlossen der Beklagte und Herr Rechtsanwalt W. mit den Betriebsräten der jeweiligen Schuldnerinnen einen Interessenausgleich mit Namensliste. Der maschinenschriftliche Wortlaut dieses Interessenausgleichs, der einem Entwurf vom 26.02.2002 entspricht, ist handschriftlich um einige Daten ergänzt bzw. verbessert worden.
In dem Interessenausgleich vom 20.03.2002 heißt es u. a.:
Präambel
Bezgl. G. und S. wurde am 01.01.2002 jeweils durch Beschluss des AG Wuppertal das Insolvenzverfahren eröffnet.
Die Versuche der Geschäftsführung sowie der Insolvenzverwalter, Übernahmeinteressenten für die Unternehmen zu finden, blieben letztlich erfolglos. Eine geplante übertragende...