Verfahrensgang

ArbG Gelsenkirchen (Beschluss vom 26.11.1987; Aktenzeichen 6 (3) Co 2821/87)

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird der Beschluß des Arbeitsgerichts Gelsenkirchen vom 26.11.1987 aufgehoben.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens fallen der Beklagten zur Last.

 

Tatbestand

I.

Der Kläger erstrebt im vorliegenden Verfahren die nachträgliche Zulassung seiner Kündigungsschutzklage. Er ist seit dem 03.08.1981 als Hilfsarbeiter bei der Beklagten tätig. Die Beklagte hat sein Arbeitsverhältnis mit Einschreiben vom 04.08.1987, das der Kläger am 06.08.1987 bei der Post abgeholt hat, zum 04.09.1987 gekündigt.

Hiergegen hat der Kläger am 28.08.1987 zu Protokoll der Geschäftsstelle des Arbeitsgerichts Klage erhoben und zugleich beantragt, die Klage nachträglich zuzulassen. Zur Begründung ist ausgeführt worden, daß er seit dem 20.07.1987 arbeitsunfähig krank gewesen sei. Am 07.08.1987 habe er sich stationärer Krankenhausbehandlung unterziehen müssen, aus der er am 25.08.1987 entlassen worden sei. Er habe sich den Brief der Beklagten vom 04.08.1987 erst am 07.08.1987 übersetzen lassen. Bis dahin habe er gar nicht gewußt, daß es sich um eine Kündigung gehandelt habe. Unter diesen Umständen treffe ihn an der Versäumung der dreiwöchigen Klagefrist kein Verschulden.

Die Beklagte ist dem Antrag entgegengetreten. Von einer unverschuldeten Klagefristversäumung könne keine Rede sein, da der Kläger sowohl vor Beginn der stationären Krankenhausbehandlung als auch nach der Krankenhausentlassung rechtzeitig die erforderlichen Schritte hätte ergreifen können.

Das Arbeitsgericht hat den Antrag durch Beschluß vom 26.11.1987 zurückgewiesen. Zur Begründung ist im wesentlichen ausgeführt worden, daß der Kläger sich nicht auf seine Sprachunkenntnis berufen könne, da vom sprachunkundigen Ausländer verlangt werden müsse, daß er sich schriftliche Mitteilungen seines Arbeitgebers übersetzen lasse. Der Krankenhausaufenthalt habe der rechtzeitigen Klageerhebung nicht entgegengestanden. Die Behandlung wegen eines. Hautleidens habe den Kläger nicht daran gehindert, seine Rechte wahrzunehmen. Nötigenfalls hätte er dritte Personen beauftragen können, die erforderlichen Schritte zu unternehmen.

Gegen den am 14.01.1988 zugestellten und wegen der sonstigen Einzelheiten in Bezug genommenen Beschluß hat der Kläger am 25.01.1988 sofortige Beschwerde eingelegt. Er verweist erneut darauf, daß er sprachunkundig sei und Schriftstücke in deutscher Sprache nicht lesen könne. Da er sich am Tag nach Erhalt des Kündigungsschreibens in Krankenhausbehandlung begeben habe und erst nach der Krankenhausentlassung imstande gewesen sei, eine Übersetzung des Briefes zu besorgen, könne von einer verschuldeten Klagefristversäumung nicht die Rede sein. Bis zur Einschaltung eines Dolmetschers habe er keine Vorstellung davon gehabt, daß es sich bei dem Schreiben der Beklagten um eine Kündigung handeln könne.

Die Beklagte bittet um Zurückweisung der sofortigen Beschwerde. Sie ist auf den gerichtlichen Hinweis, daß der Zugang der Kündigung sich wegen der mangelnden Sprachkenntnisse des Klägers möglicherweise verzögert habe, bei ihrer Auffassung verblieben, daß die Klagefrist versäumt worden sei.

Wegen der sonstigen Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Inhalt der eingereichten Schriftsätze verwiesen.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die nach § 5 Abs. 4 Satz 2 KSchG an sich statthafte und form- und fristgerecht erhobene sofortige Beschwerde hatte Erfolg. Der angefochtene Beschluß war ersatzlos aufzuheben.

1. Die Klagefrist ist nicht versäumt worden. Der Zugang des Kündigungsschreibens kann angesichts der mangelhaften Sprachkenntnisse des Klägers nicht auf den 06.08.1987 datiert werden. Wird dem ausländischen Arbeitnehmer, der die deutsche Sprache kaum versteht, in keinem Fall aber lesen kann, ein ausführlichst motiviertes Kündigungsschreiben übergeben, so ist der Zugang der Kündigungserklärung erst nach Ablauf einer angemessenen Zeitspanne vollzogen, die nach Treu und Glauben zur Erlangung einer Übersetzung erforderlich ist (LAG Hamm vom 04.01.1979 EzA § 130 BGB Nr. 9 = AR-Blattei, Kündigung II Entsch. Nr. 19 = NJW 1979, 2488 m.w.A.; zust. KR-Wolf, 2. Aufl. Grunds. Rz. 290; Becker-Schaffner, BlStSozArbR 1982, 322; Bleistein/Matthes, Einstellung, Urlaub, Krankheit, Kündigung Rz. 936; vgl. auch BAG vom 09.08.1984 EzA § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 11 = AP Nr. 12 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 12; a.A. Schlüter, Entscheidungsrezension in EzA, aaO; Söllner, Entscheidungsrezension in AR-Blattei, aaO). Vom Boden dieser Auffassung, an der das Beschwerdegericht weiterhin festhält, ist das am 06.08.1988 beim Postamt abgeholte Kündigungsschreiben nicht vor dem 07.08.1987 zugegangen und die am 28.08.1987 zu Protokoll der Geschäftsstelle des Arbeitsgerichts erklärte Kündigungsschutzklage in jedem Fall rechtzeitig erhoben worden.

Die im Kündigungsschreiben vom 04.08.1987 enthaltene ausführliche Kündigungsbegründung läßt es nicht zweifelhaft erscheinen, daß ...

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