Entscheidungsstichwort (Thema)
exzessiver privater E-Mail-Verkehr. Datenschutz. Verwertungsverbot. außerordentliche Kündigung wegen exzessiven privaten E-Mail-Verkehrs während der Arbeitszeit
Leitsatz (amtlich)
Die außerordentliche Kündigung eines langjährig beschäftigten Arbeitnehmers kann auch ohne vorangegangene einschlägige Abmahnung gerechtfertigt sein, wenn der Mitarbeiter über einen Zeitraum von mehr als 7 Wochen arbeitstäglich mehrere Stunden mit dem Schreiben und Beantworten privater E-Mails verbringt – an mehreren Tagen sogar in einem zeitlichen Umfang, der gar keinen Raum für die Erledigung von Dienstaufgaben mehr lässt. Es handelt sich in einem solchen Fall um eine „exzessive” Privatnutzung des Dienst-PC.
Normenkette
BGB § 626
Verfahrensgang
ArbG Nienburg (Urteil vom 26.02.2009; Aktenzeichen 3 Ca 311/08) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts D-Stadt vom 26.02.2009 – 3 Ca 311/08 – abgeändert.
Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 02.07.2008 nicht beendet worden ist.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 80 % und die Beklagte zu 20 %.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit mehrerer außerordentlicher verhaltensbedingter Beendigungskündigungen, die die beklagte Gemeinde dem Kläger gegenüber mit sozialer Auslauffrist zum 31.03.2009 ausgesprochen hat.
Der am 00.00.1958 geborene, verheiratete und zwei Kindern gegenüber zum Unterhalt verpflichtete Kläger ist seit dem 01.05.1976 bei der beklagten Gemeinde beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden die Vorschriften des TVöD-VKA Anwendung. Zuletzt war der Kläger als stellvertretender Leiter des Bauamtes mit einem Bruttomonatsgehalt von ca. 4.800,00 EUR tätig.
Bei der Beklagten existiert eine Dienstanweisung aus November 1997 zur Erfassung der Arbeitszeit. Darin ist unter anderem geregelt, dass das Unterbrechen der Arbeitszeit zur Erledigung privater Angelegenheiten untersagt ist. Am 25.11.1997 hat der Kläger diese Dienstanweisung zur Kenntnis genommen. Ausdrückliche schriftliche Regelungen zur dienstlichen/privaten Nutzung der E-Mail-Funktion der Dienst-EDV der beklagten Gemeinde existieren nicht. In der Vergangenheit hat die Beklagte geduldet, dass die bei ihr Beschäftigten das E-Mail-System – zumindest in der Pause – auch für private Kommunikationen nutzen.
Mit Schreiben vom 29.09.2006 erhielt der Kläger eine Abmahnung, weil er am 27.05.2005 gegen 13:12 Uhr von seinem dienstlichen Telefonanschluss aus die Sonderdienstleistung „Erotik-Hotline” in Anspruch genommen haben soll. Eine zweite Abmahnung erhielt der Kläger am 20.02.2007 wegen der ihm vorgeworfenen unbefugten Installation des Programms ICQ. Im Zeitraum ab dem 07.01.2008 war der Kläger infolge einer Operation am Fuß für mehr als 3 Monate arbeitsunfähig erkrankt.
Der Kläger war unter dem Pseudonym M.48 in dem kostenlosen Netzwerk www.lablue.de (Eigenwerbung: Chat und Partnersuche) angemeldet. Nach seiner Genesung setzte er von seinem dienstlichen Rechner aus die E-Mail-Kommunikation in diesem Netzwerk ab dem 12.03.2008 fort. Während der Kläger seine eigenen Beiträge gelöscht hat, sind die ihm zugegangenen Antworten seiner Chat-Partnerinnen von der Beklagten durch Ausdruck für die Gerichtsakte dokumentiert (für den Zeitraum vom 12.03.2008 bis zum 02.05.2008 umfasst die Dokumentation dieser dem Kläger zugegangener E-Mails 774 DIN-A4-Seiten (Bl. 262 bis 1036 d. A.).
Am 23.06.2008 sah die Mitarbeiterin Sch. gegen 13:00 Uhr durch das Fenster des Arbeitszimmers des Klägers, wie dieser den Fernseher benutzte. Kurz nach 13:00 Uhr betrat die Mitarbeiterin Sch. wegen eines dienstlichen Anliegens das Arbeitszimmer des Klägers und stellt fest, dass sich auf dem Tisch eine ausgebreitete Tageszeitung befand und der Kläger vor dem laufenden Fernseher saß. An diesem Tag hatte der Kläger sich aus der Mittagspause kommend um 12:40 Uhr wieder eingestempelt.
Am 30.06.2008 informierte der Zeuge M., welcher bei der Beklagten auch die Funktion eines Personalsachbearbeiters wahrnimmt, die weiteren Personalratsmitglieder, darunter die Vorsitzende T. F., mündlich über den von Frau Sch. geschilderten Sachverhalt. Mit Schreiben vom 02.07.2008 (Bl. 64 d. A.) stimmte der Personalrat einer außerordentlichen verhaltensbedingten Kündigung des Klägers mit sozialer Auslauffrist zum 31.03.2009 zu. Daraufhin kündigte die Beklagte mit Schreiben vom 02.07.2008 das Arbeitsverhältnis des Klägers außerordentlich aus verhaltensbedingten Gründen mit einer sozialen Auslauffrist zum 31.03.2009. Zeitgleich stellte sie den Kläger von der Arbeitspflicht unter Anrechnung auf seine Urlaubsansprüche frei.
Gegen diese Kündigung hat der Kläger mit am 09.07.2008 beim Arbeitsgericht D. eingegangenem Schriftsatz Kündigungsschutzklage erhoben. Ferner hat er am 05.08.2008 einen Antrag auf Feststellung einer Schwerbehinderung gestellt (Bl. 28 f. d. A.). Bisher ...