Entscheidungsstichwort (Thema)

Kündigungsfrist. „Altersgrenze 25”. Betriebszugehörigkeit. Altersdiskriminierung. Gemeinschaftsrecht. Vertrauensschutz. Anknüpfung an Mindestalter für Kündigungsfrist. Anwendbarkeit des § 622 Abs. 2 S. 2 BGB

 

Leitsatz (amtlich)

1. § 622 Abs. 2 S.2 BGB verstößt gegen das europarechtliche Verbot der Altersdiskriminierung (Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27.11.2000).

2. § 622 Abs. 2 S.2 BGB ist bei der Berechnung der maßgeblichen Kündigungsfrist auch ohne Vorlage an den Europäischen Gerichtshof von den nationalen Gerichten nicht anzuwenden.

 

Normenkette

BGB § 622 Abs. 2 Sätze 1-2; RL 2000/78/EG des Rates vom 27.11 Art. 1; RL 2000/78/EG des Rates vom 27.11 Art. 2 d; RL 2000/78/EG des Rates vom 27.11 Art. 6; EG Art. 234 Abs. 3

 

Verfahrensgang

ArbG Kiel (Urteil vom 18.12.2007; Aktenzeichen 2 Ca 1680 d/07)

 

Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kiel vom 18.12.2007 – 2 Ca 1680 d/07 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten, soweit im Berufungsverfahren noch von Bedeutung, um die Dauer der Kündigungsfrist und in diesem Zusammenhang um die Wirksamkeit des § 622 Abs. 2 S. 2 BGB.

Die Klägerin ist 1982 geboren und war bei Ausspruch der Kündigung 25 ½ Jahre alt. Sie stand seit dem 17.1.2002 und damit rund 5 ½ Jahre lang bei dem Beklagten in einem Arbeitsverhältnis. Die Klägerin war als Zahnarzthelferin tätig und erhielt zuletzt bei einer regelmäßigen Arbeitszeit von 42 Stunden pro Woche eine Vergütung von 1.325,16 EUR brutto monatlich. Sie hatte einen Urlaubsanspruch von 26 Arbeitstagen per anno. Das Kündigungsschutzgesetz ist auf das Arbeitsverhältnis nicht anwendbar.

Vom 23.2.2003 bis zum 31.8.2007 war die Klägerin in Elternzeit. Nach entsprechender Vorankündigung nahm die Klägerin am 1.9.2007 nach beendeter Elternzeit im

Rahmen einer Vollzeitbeschäftigung ihre Arbeit wieder auf. Sie erhielt noch an diesem Tag ein Kündigungsschreiben des Beklagten, mit dem das Arbeitsverhältnis „fristgerecht zum 30.9.2007” beendet wurde (Anlage K4 – Bl. 10 d.A.). Damit ist die Klägerin nicht einverstanden und hat am 21.9.2007 Kündigungsschutzklage erhoben.

Am 24.9.2007 wurden zusammen mit einem vorformulierten Anschreiben die Arbeitspapiere ausgehändigt. Das Schreiben lautet u.a. wie folgt:

„Ich erkläre hiermit, folgende Unterlagen erhalten zu haben:

Gehaltsabrechnung September 2007 Lohnsteuerbescheinigung 2007 Lohnsteuerkarte 2007 Sozialversicherungsabmeldung

Arbeitsbescheinigung (bereits vorab) Sozialversicherungsausweis

Ferner bestätige ich, dass damit meine Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis abgegolten sind und dass ich keine Forderungen mehr gegen die Praxis – ganz gleich aus welchem Rechtsgrund – geltend mache.

Datum…

Unterschrift…” (Bl. 16 d.A.)

Ob die Klägerin oder ihr Ehemann das Schreiben unterschrieben hat, ist streitig.

Seit dem 1.10.2007 steht die Klägerin in einem neuen Beschäftigungsverhältnis. Nach ihrem Vorbringen hat dieser neue Arbeitgeber aber mindestens für Oktober und November 2007 einen etwaigen anteiligen Urlaubsanspruch nicht erfüllt. Der Beklagte hat die Urlaubsansprüche der Klägerin auf Basis eines Beendigungsdatums 30.9.2007 abgewickelt.

Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt, festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die Kündigung vom 01.September 2007 zum 30. September 2007 aufgelöst worden ist.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht hat – unter Abweisung im Übrigen – im Rahmen der Kündigungsschutzklage erstinstanzlich festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis aufgrund der Kündigung des Beklagten vom 1.9.2007 nicht zum 30.9.2007 beendet worden ist, sondern bis zum 30.11.2007 fortbestanden hat. Das geschah im Wesentlichen mit der Begründung, die gesetzliche Kündigungsfrist des § 622 Abs. 2 S. 2 BGB sei europarechtswidrig, da sie eine auf das Lebensalter zurückzuführende Ungleichbehandlung enthalte. Deshalb sei die Norm unanwendbar. Eine Vorlage an den europäischen Gerichtshof sei nicht erforderlich. Die Ausgleichsquittung stehe der Geltendmachung einer längeren Kündigungsfrist nicht entgegen. Es könne dahingestellt bleiben, wer sie unterschrieben hat, da sie als möglichen Klageverzicht gegen § 307 BGB verstoße. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe der erstinstanzlichen Entscheidung verwiesen.

Gegen dieses dem Beklagten am 2.1.2008 zugestellte Urteil legte er am 25.1.2008 per Fax / 28.1.2008 im Original Berufung ein, die sogleich begründet wurde.

Er hält die gewählte Kündigungsfrist für korrekt. Er trägt vor, die von ihm gewählte Kündigungsfrist ergebe sich unter Berücksichtigung des Lebensalters der Klägerin aus § 622 Abs. 2 S. 2 BGB. Diese gesetzliche Vorschrift sei rechtlich nicht zu beanstanden und verstoße weder gegen Europarecht noch gegen nationales Recht. § 622 Abs. 2 BGB sei nach wie vor anzuwenden, da es sich insoweit im Verhältnis zur Richtlinie um älteres Recht handele, das auch bei ...

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