Rn. 35
Stand: EL 166 – ET: 08/2023
Die Grundkonzeption des § 15a Abs 1 EStG, Verluste nur bis zum Stand null des für Verluste haftenden Kapitals oder der höheren Haftsumme zum Ausgleich oder Abzug zuzulassen (zur Abgrenzung der iSd § 15a Abs 1 EStG festen Pflichtkapitalkonto anerkannten variablen Kapitalkonten von den nicht § 15a-wirksamen Konten (FK-Charakter bzw jederzeit entnahmefähig; s Rn 6a), könnte ohne § 15a Abs 3 S 1 EStG theoretisch unterlaufen werden, indem zum Erhalt ausgleichsfähiger Verluste durch nur vorübergehend höhere Einlagen (oder – s Rn 40 betreffend § 15a Abs 3 S 3 EStG – nur vorübergehende Erhöhungen der Haftsummen) vor dem Bilanzstichtag und anschließende Entnahmen (oder Haftungsminderungen) beliebige Verlustverrechnungsmöglichkeiten geschaffen werden.
Nach der Rechtsfortbildung durch BFH vom 10.11.2022, BFH/NV 2023, 307, ist zu beachten, dass eine wirksame Erhöhung des Verlustausgleichsvolumens iSd § 15a Abs 1 EStG durch eine freiwillige Einlage des Kommanditisten auf ein variables Kapitalkonto nur dann steuerlich anzuerkennen ist, wenn
(1) |
der Gesellschaftsvertrag eine solche Einlage zulässt und |
(2) |
diese über die Pflichteinlage hinausgeht sowie freiwillig und gesellschaftsrechtlich zulässig ist. |
Bei den durch § 15a EStG ursprünglich – jetzt s vorrangig § 15b EStG, s Rn 5b – angesprochenen Publikums-Verlustzuweisungsgesellschaften ist allerdings kaum vorstellbar, dass die Geschäftsführung den vielzähligen Kommanditisten kurzfristig weitere freiwillige, im Beitrittsschein nicht vereinbarte Einlagen vorschlägt, um den Kommanditisten saldierungsfähige Verluste zu vermitteln, mit der Zusage, diese alsbald – wenn vordefinierte Bedingungen erfüllt sind – zurückzuerstatten; glA Koch, DStR 1984, 543).
Beispiel für die Grundkonzeption des § 15a Abs 1 EStG:
Jahr 01
|
TEUR |
Kapitalkonto 01.01.01 (Haftsumme 100 TEUR; Pflichteinlage 300 TEUR) |
100 |
Einzahlung auf Pflichteinlage im Dezember 01 |
+ 200 |
Verlustanteil Jahr 01 |
./. 300 |
Kapitalkonto 31.12.01 |
0 |
ausgleichsfähiger Verlustanteil |
300 |
verrechenbarer Verlustanteil |
0 |
Jahr 02
Kapitalkonto 01.01.02 |
0 |
Entnahme Januar 02 |
./. 200 |
Ergebnisanteil Jahr 02 |
0 |
Kapitalkonto 31.12.02 |
./. 200 |
"Einlageminderung" |
200 |
entstehende Haftung gemäß § 172 Abs 4 HGB gegenüber Gläubigern in Höhe der Haftsumme: s Rn 25 |
100 |
Gewinnzurechnung (Einlageminderung ./. dadurch entstehende Haftung) |
100 |
gleichzeitig im Entnahme- oder in Folgejahren verrechenbarer Verlustanteil (Ergebnisanteil ./. Gewinnzurechnung): § 15 Abs 3 S 4 EStG iVm BFH vom 30.08.2001, BStBl II 2002, 458 |
100 |
Die "Einlageminderung" iH des entstandenen negativen Kapitalkontos von 200 TEUR führt nur iH des die wiederauflebende Haftung nach § 172 Abs 4 HGB übersteigenden Betrages zu einer Gewinnzurechnung (s auch Pyszka, DStR 1995, 594). Insoweit wird der im Vorjahr ausgleichs- oder abzugsfähige Verlust iHv 300 TEUR in einen nur verrechenbaren Verlust umgepolt (§ 15a Abs 3 S 4 EStG). Die bis zur Höhe der Pflichteinlage weiter bestehende Haftung gegenüber den Mitgesellschaftern im Innenverhältnis (dazu s OLG D'dorf vom 18.07.2013, DB 2013, 2379) ist nach dem Gesetzeswortlaut des § 15a EStG unbeachtlich. Das Bsp entspricht der Grundkonzeption des § 15a Abs 1 EStG, wonach auch über den Kapitaleinsatz hinausgehende Verluste ausgleichs- oder abzugsfähig sein sollen, soweit der Kommanditist für das entstehende negative Kapitalkonto den Gläubigern gegenüber (Außenverhältnis) haftet. Für den Beispielsfall heißt dies:
|
TEUR |
Verlorene, bereits eingezahlte Haftsumme = Kapitalkonto |
100 |
Wiederaufgelebte Haftung gemäß § 172 Abs 4 HGB = ausgleichs-/abzugsfähig über den Kapitaleinsatz hinaus |
100 |
Gewinnzurechnung |
100 |
Rn. 36
Stand: EL 166 – ET: 08/2023
In Höhe der nach § 172 Abs 4 HGB wieder aufgelebten Haftung bleibt der Verlustausgleich/-abzug somit über den Kapitaleinsatz hinaus erhalten. Dies gilt gleichermaßen für das Bsp bei Biergans, DStR 1981, 3, 7 und ist entgegen dessen Ansicht vom Gesetzgeber so gewollt (s FG BBg vom 23.09.2009, EFG 2010, 54; auch s Rn 38). Insofern ist der Kommanditist im Beispielsfall über den primär beabsichtigten Zweck des § 15a Abs 3 S 1 EStG (deckungsgleiche Umpolung) hinaus steuerlich um 100 TEUR besser gestellt gegenüber einem Kommanditisten, bei dem von Anfang an nur eine um die Entnahme geminderte Einlage bestanden hätte (Uelner/Dankmeyer, DStZ 1981, 12, 20; Bordewin, FR 1982, 487).
Beachte: § 172 Abs 4 HGB enthält keinen neben § 171 HGB tretenden eigenen Haftungstatbestand, die unmittelbare Außenhaftung des Kommanditisten ist vielmehr maximal auf die im HR eingetragene Haftsumme beschränkt; die Haftung ist ausgeschlossen, soweit die vereinbarte Einlage geleistet ist (Version ab 01.01.2024; das MoPeG vom 10.08.2021, BGBl I 2021, 3436 hat bei der KG nun auch ausdrücklich die Unterscheidung zwischen Haftsumme und vereinbarter Einlage (Pflichteinlage) in § 171 Abs 1 HGB nF verankert).
Hinsichtlich des Wiederauflebens der Haftung des Kommanditisten im Außenverhältnis (§ 171 Abs 1 HGB) ist aber zusätzli...