Prof. Dr. Simone Briesemeister-Dinkelbach, Prof. Dr. Wolf-Dieter Hoffmann
Rn. 248
Stand: EL 148 – ET: 12/2020
§ 4 Abs 1 S 3 nennt vier Entstrickungstatbestände zur Sicherung des deutschen Steueranspruchs durch Entnahmefiktion:
- Ausschluss bezüglich des Gewinns bei Veräußerung eines WG (s Rn 250),
- Einschränkung bezüglich des Gewinns bei Veräußerung eines WG (s Rn 260),
- Ausschluss bezüglich des Gewinns bei Nutzung eines WG (s Rn 263),
- Einschränkung bezüglich des Gewinns bei Nutzung eines WG (s Rn 266).
Negativ formuliert: Nicht die Überführung selbst, sondern der Ausschluss oder die Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts stellt den Tatbestand für den Steuerzugriff dar. Ein Ausschluss bzw eine Beschränkung des Besteuerungsrechts sollen nach der Gesetzesbegründung vorliegen, wenn ein WG in eine ausländische Betriebsstätte überführt wird, wenn der Gewinn der ausländischen Betriebsstätte aufgrund eines DBA von der inländischen Besteuerung freigestellt wird oder die ausländische Steuer auf die im Inland erhobene anzurechnen ist (BT-Drucks 16/2710, 44).
Bestehendes Besteuerungsrecht: Der Ausschluss oder die Einschränkung der deutschen Besteuerung setzt denknotwendig bis dahin das Bestehen eines deutschen Besteuerungsrechts voraus (dazu Brauksiepe, Das Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland als Tatbestandsmerkmal der Entstrickung nach § 4 Abs 1 S 3 EStG, 2017, 1ff). Das ist zB nicht der Fall bei Überführung eines WG aus einer Freistellungsbetriebsstätte in das Inland (Rödder/Schumacher, DStR 2006, 1484; Förster, DB 2007, 72) oder in eine Betriebsstätte in einem anderen ausländischen Staat. Hat bis dato ein (lediglich) beschränktes Besteuerungsrecht bestanden und geht dieses durch Überführung des WG verloren (Bsp Überführung eines WG von einer ausländischen Anrechnungs- in eine Freistellungsbetriebsstätte), ist der Anwendungsbereich der Norm dagegen grds eröffnet.
Keine Entnahmefiktion bei Ausschluss des Besteuerungsrechts im Anschluss an dessen Beschränkung: Wird ein bestehendes deutsche Besteuerungsrecht dagegen zunächst nur beschränkt (zB durch Überführung in eine Anrechnungsbetriebsstätte), durch einen nachfolgenden zweiten Vorgang dann aber gänzlich ausgeschlossen (zB durch Überführung in Freistellungsbetriebsstätte), kann § 4 Abs 1 S 3 EStG für den zweiten Vorgang (entgegen des Wortlauts "oder") nicht nochmals zur Anwendung kommen, da das WG bereits mit der Beschränkung des Besteuerungsrechts als entnommen gilt, folglich (ohne fiktive Einlage) kein weiteres Mal fiktiv entnommen werden kann (vgl Musil in H/H/R, § 4 EStG Rz 233).
Anwendung auf WG: § 4 Abs 1 S 3, 4 EStG setzen WG voraus, an denen das Besteuerungsrecht ausgeschlossen/beschränkt wird. Die Art des WG ist irrelevant (materiell/immateriell, entgeltlich erworben/selbst erstellt, abnutzbar/nicht abnutzbar, AV/UV). Erfasst werden auch WG-Mehrheiten bis hin zum Betrieb/Teilbetrieb (s auch § 16 Abs 3a EStG). Liegt mangels abstrakter Aktivierungsfähigkeit (noch) kein WG vor (Bsp Gewinnchancen), ist § 4 Abs 1 S 3, 4 EStG nicht anwendbar.
Keine Erfassung des Rechtsträgerwechsels: Die Anwendbarkeit der Entnahmefiktion setzt voraus, dass dem StPfl das WG (auch nach dem Entstrickungsvorgang) unverändert personell zuzurechnen ist. Realisationsvorgänge mit Verwertungsakt am Markt ("Übertragungen") gehen der Ersatzrealisation durch Entnahmefiktion vor. Bei einem Rechtsträgerwechsel, dh Wechsel der personellen Zurechnung zB infolge Veräußerung des WG an einen Dritten verbleibt für eine Entnahmefiktion kein Raum (Musil in H/H/R, § 4 EStG Rz 231).
Zurordnungswechsel: Wesentlicher anvisierter Anwendungsfall des Ausschlusses oder der Beschränkung des Gewinns aus der Veräußerung von WG (s Rn 250ff) ist der Zuordnungswechsel zu einer ausländischen Betriebsstätte. Für die Zuordnung von WG kommen für Wj vor dem 01.01.2013 die Betriebsstätten-Verwaltungsgrundsätze (BMF v 24.12.1999, BStBl I 1999, 1076, geändert durch BMF v 20.11.2000, BStBl I 2000, 1509 und BMF v 25.08.2009, BStBl I 2009, 888), für Wj danach die Verwaltungsgrundsätze Betriebsstättengewinnaufteilung (VWG BsGa BMF v 22.12.2016, BStBl I 2017, 182) zur Anwendung.
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Stand: EL 148 – ET: 12/2020
Passive Entstrickung: Das BMF vertritt mit Schreiben v 26.10.2018 (BMF BStBl I 2018, 1104), dass der Tatbestand des Ausschlusses oder der Beschränkung des Besteuerungsrechts der Bundesrepublik Deutschland keine Handlung des StPfl voraussetze, sondern unabhängig von einer (aktiven) Handlung des StPfl durch Änderungen rechtlicher Rahmenbedingen ausgelöst werden könne (sog passive Entstrickung). Eine Steuerbelastung durch passive Entstrickung ist nach Verwaltungsauffassung insb möglich, wenn ein WG einer Anrechnungsbetriebsstätte zugeordnet ist, mit dem betreffenden Staat im Nachgang der Zuordnung aber ein DBA mit Freistellung vereinbart wird oder mit einem Staat erstmalig ein DBA vereinbart wird. Die passive Entstrickung ist kritisch zu sehen (ablehnend Bron, IStR 2014, 919; Kessler/Spychalski, IStR 2019, 193; Kudert/Kahlenberg, FR 2019, 251; s auch Wassermeyer, DB 2006, 2420; Lüdicke, F...