Prof. Dr. Simone Briesemeister-Dinkelbach, Prof. Dr. Wolf-Dieter Hoffmann
Rn. 423
Stand: EL 171 – ET: 02/2024
Abgrenzung: Bei einem Versendungskauf handelt es sich um einen Kaufvertrag über eine bewegliche Sache, bei der der Verkäufer auf Verlangen des Käufers die Nebenpflicht übernommen hat, die Kaufsache vom Erfüllungsort aus an einen davon abweichenden anderen Ort zu versenden (§ 447 BGB). Die Nebenpflicht zur Versendung auf Verlangen des Käufers ergibt sich in der Regel aus einer vertraglich vereinbarten Schickschuld.
Rn. 423a
Stand: EL 171 – ET: 02/2024
Übergang der Preisgefahr: Abweichend von der im Kaufrecht gemäß § 446 S 1 BGB geltenden Grundregel, dass die Preisgefahr mit Übergabe der Kaufsache auf den Gläubiger übergeht, bestimmt § 447 BGB für den Versendungskauf, dass die Preisgefahr bereits mit Absendung der Ware, dh mit Übergabe an den Spediteur, Frachtführer oder die sonst zur Ausführung der Versendung bestimmte Person auf den Erwerber übergeht, wenn der Verkäufer die verkaufte Sache auf Verlangen des Käufers versendet (und es sich nicht um einen Verbrauchsgüterkauf handelt, s Rn 424ff). Haben die Parteien einen Versendungskauf (Schickschuld) vereinbart, wird der Übergang der Preisgefahr mithin zu Lasten des Erwerbers vorverlagert.
Kommt es zum Untergang oder Verschlechterung der Kaufsache auf dem Transportweg vom Verkäufer zum Käufer ohne Verschulden einer der Parteien, muss der Käufer unter den Voraussetzungen des § 447 Abs 1 BGB den vollen Kaufpreis zahlen, obwohl keine Übergabe/Übereignung stattgefunden hat.
Rn. 423b
Stand: EL 171 – ET: 02/2024
Zurechnungswechsel: Die Frage, in wessen Bilanz beim Versendungskauf am Bilanzstichtag unterwegs befindliche, schwimmende/rollende Ware zu zeigen ist, wird nicht einheitlich beantwortet. Der BFH verneint einen Zurechnungswechsel vor Erlangung der Verfügungsmacht in Gestalt des unmittelbaren oder mittelbaren Besitzes an den betreffenden WG (BFH vom 03.08.1988, I R 157/84, BStBl II 1989, 21). Das Schrifttum nimmt mit Übergabe an den Transporteur, dh bei Übergang der Preisgefahr dagegen zT zugleich einen Zurechnungswechsel an (vgl Knobloch/Baumeister, DStR 2015, 2406; Knobloch/Baumeister, WPg 2016, 556, 561; Schubert/Hutzler, Beck'scher Bilanzkommentar, § 255 HGB Rz 21 (13. Aufl 2022)). Teils wird vertreten, der Gefahrenübergang sei handelsrechtlich für einen Zurechnungswechsel ausreichend, nicht dagegen steuerrechtlich (so Goy, BBK 2016, 367f).
Mit Übergabe der Sache an die zur Versendung beauftragte Person erwirbt der Käufer weder mittelbar noch unmittelbar zivilrechtliches Eigentum, der Eigentumserwerb erfolgt erst mit Übergabe (§ 929 BGB) bzw durch Besitzkonstitut (§ 930 BGB). Für die Annahme eines Übergangs wirtschaftlichen Eigentums des Erwerbers bereits im Zeitpunkt der Übergabe an den mit der Beförderung/Versendung Beauftragten wäre erforderlich, dass der Erwerber ab diesem Zeitpunkt die tatsächliche Herrschaft über das betreffende Gut in der Weise ausübt, dass er den Verkäufer als zivilrechtlichen Eigentümer im Regelfall von der weiteren Einwirkung auf das WG wirtschaftlich ausschließen kann.
Zur Beantwortung dieser Frage ist zunächst die Verfügungs-/Weisungsbefugnis im allgemeinen Frachtrecht (§ 418 HGB) bzw Seerecht (§§ 491, 520 HGB) zu betrachten. Nach allgemeinem Frachtrecht bleibt der Absender berechtigt, über das versandte, bereits an den Frachtführer übergebene Gut "zu verfügen", § 418 Abs 1 S 1 HGB. Er kann gemäß § 418 Abs 1 S 2 HGB insbesondere verlangen, dass der Frachtführer das Gut nicht weiterbefördert oder es an einem anderen Bestimmungsort, an einer anderen Ablieferungsstelle oder an einen anderen Empfänger abliefert.
Die Verfügungsbefugnis iSd § 418 Abs 1 HGB umfasst nicht Verfügungen im sachenrechtlichen Sinn, sondern ist (ausweislich der Normüberschrift) mit der Befugnis zu nachträglichen Weisungen (Direktionsbefugnis) lediglich schuldrechtlicher Natur. Das Verfügungs-/Weisungsrecht trägt dem Umstand Rechnung, dass der Frachtvertrag zu seiner Erfüllung ggf eines Zeitraums bedarf, was zu Anpassungserfordernissen des Transportablaufs an ggf geänderte Rahmenbedingungen führen kann. Von der Weisungsbefugnis gedeckt wird auch der Fall nach Beginn der Beförderung eintretender Zahlungsunfähigkeit des Empfängers, durch die der Absender veranlasst ist, den Frachtführer zur Beförderung zu einem Dritten anzuweisen (vgl Thume in Münchener Kommentar HGB, § 418 Rz 1 (5. Aufl 2023)). Mit Ankunft des Gutes an der Ablieferungsstelle und damit Beendigung des Beförderungsvertrages erlischt die Grundlage des Verfügungsrechts des Absenders und damit auch dessen Verfügungsrecht, es steht fortan dem Empfänger zu, § 418 Abs 2 HGB, erst zu diesem Zeitpunkt gehen Dispositionsbefugnis und Besitz auf den Empfänger über. Auch nach Seehandelsrecht bleibt der Verfrachter (Verkäufer) gemäß § 491 Abs 1 HGB verfügungsbefugt, soweit § 520 Abs 1 HGB nichts Abweichendes bestimmt.
Das Verfügungsrecht ist gemäß § 520 HGB eingeschränkt, wenn ein Konnossement ausgestellt wurde. In diesem Fall steht das Verfügungs-/Weisungsrecht nach § 491 HGB bis zur...