Jürgen Dräger, Tobias Müller
Rn. 734
Stand: EL 175 – ET: 09/2024
Eine Widerlegung der Teilwertvermutung gelingt am ehesten durch den Nachweis einer Fehlmaßnahme. Vgl hierzu unter s Rn 443 die tabellarische Übersicht über die BFH-Rspr. Die dort angeführten Urt sind überwiegend auf die Teilwertermittlung von Beteiligungen an KapGes ausgerichtet. Besonders praxisrelevant ist dabei das Urt BFH BStBl II 1979, 108: Eine Fehlmaßnahme (zur Widerlegung der Teilwertvermutung) lag deswegen vor, weil die wirtschaftlichen Erwartungen bei Gründung infolge nicht eingeplanten Einkaufsverhaltens von Großhändlern nicht erfüllt worden sind.
Weiter ist die Feststellung des BFH BStBl II 1977, 515 beachtlich: Bei verdeckten Einlagen in KapGes entspricht der Teilwert (für diese Einlage) "nicht ohne weiteres" den AK "in Gestalt verdeckter Einlagen". Hier wird also uU die Teilwertvermutung "durchbrochen".
Rn. 735
Stand: EL 175 – ET: 09/2024
Die Teilwertvermutung kann außerdem bei Vorliegen niedrigerer Wiederbeschaffungskosten widerlegt werden (s Rn 436ff). Dieses Kriterium wird insb im Urt des BFH BStBl II 1991, 342 abgehandelt; der Sachverhalt dieser Entscheidung ist dafür auch besonders prädestiniert, handelte es sich doch im Streitfall um eine Beteiligung an einer börsennotierten AG. Allerdings wurde die konkrete Beteiligung – wie häufig – an der Börse gerade nicht gehandelt, weshalb der BFH eine Teilwertabschreibung aufgrund eines gesunkenen Börsenkurses ablehnte, der "innere" Wert der Beteiligung würde – so der BFH – durch den gesunkenen Börsenkurs nicht definiert.
Soweit ein Börsenhandel für die betreffenden Beteiligungspapiere generell nicht stattfindet (zB GmbH-Anteile), verliert das Tatbestandsmerkmal der gesunkenen Wiederbeschaffungskosten zur Widerlegung der Teilwertvermutung an Konturen. Dann – und das sind in der Praxis die überwiegenden Streitfälle – gilt es, den (anteiligen) Unternehmenswert – insoweit identisch mit den Wiederbeschaffungskosten – zum Nachweis des gesunkenen inneren Wertes der Beteiligung mit dem bewertungstechnischen Handwerkszeug zu ermitteln. Und dann kommt es dem BFH zufolge entscheidend (BFH BStBl II 1989, 274; 1979, 108) auf die möglicherweise gesunkene Vermögenssubstanz, aber auch auf die Ertragslage und Ertragsaussichten und etwaige funktionale Vorteile für das Mutterunternehmen durch das Halten der Beteiligung an (Küting-Kessler, GmbHR 1995, 345, 351).
Der BFH folgt dabei verständlicherweise nicht ohne weiteres den Pfaden der modernen Betriebswirtschaftslehre (mit der "Ausschließlichkeit" des Ertragswertes), sondern hält auch noch den Substanzwert für bedeutsam. Die Praxis der Unternehmensverkäufe zeigt aber insb auch bei Klein- und Mittelbetrieben, dass dem Ertragswert eine herausragende Stellung bei der Bewertung zukommt.
Rn. 736
Stand: EL 175 – ET: 09/2024
Der BFH kann als Revisionsinstanz nur allg Richtlinien aussprechen und die Feststellungen des FG ausschließlich iRd § 118 Abs 2 FGO überprüfen. Größeres Gewicht als der BFH-Rspr kommt deswegen der Tendenz der erstinstanzlichen Gerichtsbarkeit zu. Diese erscheint dadurch geprägt, dass jegliche Kapitalmaßnahme einer Mutterunternehmung bezüglich der Teilwertvermutung fast unwiderlegbar ist (einschränkend BFH BStBl II 1977, 515; s Rn 734). Bezeichnend hierfür ist das Urt des FG RP EFG 1994, 89, das mehrere zur Erhaltung der Tochtergesellschaft durchgeführte Kapitalerhöhungen (also verlustbedingte) als nicht für eine Teilwertabschreibung berechtigend wertete, erst wenn die Erfolglosigkeit dieser Maßnahmen in der weiteren Entwicklung erkennbar sei, komme eine Teilwertabschreibung in Betracht.
Nicht berücksichtigt wird dabei die ökonomische Tatsache, dass diese Kapitalzuführungen zumindest teilweise der finanziellen Abdeckung in der früheren Zeit angefallener Verluste dienen und nicht etwa der zum weiteren Überleben der Tochtergesellschaft erforderlichen Neukapitalausstattung (s hierzu Reuter, Beteiligungsabschreibung trotz Mittelzuführung an die Tochtergesellschaft, BB 1982, 25 sowie das Fallbeispiel s Rn 719). Die praktische Folge ist die, dass sich der Nachweis eines niedrigeren Beteiligungswertes durch die Insolvenz der Gesellschaft von selbst erledigt (so Küting-Kessler, GmbHR 1995, 345, 352).
Besonders bedenklich in diesem Zusammenhang ist allerdings auch das Urt BFH BHF/NV 1992, 15: Dort hatte die Muttergesellschaft, wie in der Praxis üblich, zur Deckung von Vergangenheitsverlusten bei der Tochtergesellschaft fresh money nachgeschossen. Der BFH lehnt eine Teilwertabschreibung ab, weil im Zusammenhang mit dieser finanziellen und bilanziellen Sanierung weitere betriebliche Sanierungsmaßnahmen bei der Tochtergesellschaft eingeleitet worden sind, zB das Produktionsprogramm umgestellt worden ist. Diese Tatsache soll die Berechtigung einer Teilwertabschreibung dem BFH zufolge ausschließen. Folgerung hieraus: Saniert man eine Tochtergesellschaft durch Zuführung von neuer Liquidität, muss man diese im Anschluss daran im alten Trott weiter agieren lassen, also sehenden Auges die Verlust...