Rn. 111
Stand: EL 156 – ET: 02/2022
Art 67 VO (EG) Nr 883/2004, der an die Stelle der Art 73, 74, 77 und 78 der VO (EWG) Nr 1408/71 getreten ist, trifft eine Regelung für sämtliche Personen, die unter den persönlichen Geltungsbereich der VO (EG) Nr 883/2004 fallen. Es handelt dabei um die Personen, auf die der Regelungsbereich der Art 11–16 der VO (EG) Nr 883/2004 Anwendung findet. Art 67 VO (EG) Nr 883/2004 bestimmt für diese Personen, dass sie auch für Familienangehörige, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedsstaats haben, als ob die Familienangehörigen in diesem Mitgliedsstaat wohnen würden. Abweichend davon bestimmt Art 67 Abs 2 VO (EG) Nr 883/2004 für Rentner, dass diese stets Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des für die Rentengewährung zuständigen Mitgliedsstaats haben.
Rn. 112
Stand: EL 156 – ET: 02/2022
Aus Art 60 Abs 1 S 2 VO (EG) Nr 987/2009 ergibt sich in Bezug auf das Verfahren bei der Anwendung der Art 67 und 68 der VO (EG) Nr 883/2004 der Grundsatz der Familienbetrachtung. Zu den "beteiligten Personen" iSd des Art 60 Abs 1 S 2 VO (EG) Nr 987/2009 gehören die "Familienangehörigen" iSd Art 1 Buchst i Nr 1 Buchst i der VO (EG) Nr 883/2004. Hierunter sind neben den Elternteilen und dem Kind auch alle Personen zu verstehen, die nach nationalem Recht berechtigt sind, Anspruch auf diese Leistungen zu erheben (EuGH v 22.10.2015, C-378/14, HFR 2015, 1190, Rz 38 (Trapkowkski)). Von dem Begriff der "Familienangehörigen" werden deshalb auch Elternteile erfasst, die nicht oder nicht mehr miteinander verheiratet sind, BFH v 28.04.2016, III R 40/12, BFH/NV 2016, 1469.
Art 60 Abs 1 S 2 VO (EG) Nr 987/2009 enthält eine Fiktion dahingehend, dass bei der Anwendung der Art 67 und 68 VO (EG) Nr 883/2004 die Situation der gesamten Familie in der Weise zu berücksichtigen ist, als würden alle Personen unter die Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedsstaats fallen und dort wohnen. Nach dem Urteil des EuGH v 18.09.2019, C-32/18, DStR 2020, 1210 (Moser), Leitsatz 1 und Rz 45 ff ist diese Bestimmung dahin auszulegen, dass sie nicht nur in dem Fall Anwendung findet, dass die Leistung gemäß den als vorrangig bestimmten Rechtsvorschriften gewährt wird, sondern auch in dem Fall, dass sie nach den Rechtsvorschriften eines nachrangig zuständigen Mitgliedstaats in Form eines Unterschiedsbetrags ausbezahlt wird, BFH v 01.07.2020, III R 22/19, BFH/NV 2021, 134, Rz 14. Damit ist nicht nur zu fingieren, dass der im Inland wohnende Elternteil auch im Wohnsitz-Mitgliedstaat des anderen Elternteils wohnt, sondern auch, dass er unter die Rechtsvorschriften des betreffenden anderen Mitgliedstaats fällt. Somit ist auch zu prüfen, ob der im Inland lebende Elternteil die Anspruchsvoraussetzungen im anderen Mitgliedstaat erfüllt und deshalb eine Anspruchskonkurrenz besteht, BFH v 18.02.2021, III R 71/18, BFH/NV 2021, 884. Erfüllt ein nach § 1 Abs 3 EStG besteuerter Elternteil die Voraussetzungen für einen inländischen (Differenz-)Kindergeldanspruch, steht dieser Anspruch dem im anderen Mitgliedstaat wohnenden Elternteil dann zu, wenn er das Kind in seinen Haushalt aufgenommen hat. Dies gilt unabhängig davon, ob das deutsche Recht auf den nach § 1 Abs 3 EStG besteuerten Elternteil nach Art 11 ff der VO (EG) Nr 883/2004 vorrangig oder nachrangig anzuwenden ist, BFH v 18.02.2021, III R 12/19, BFH/NV 2021, 940.
Die Vorschrift betrifft insb den Fall, dass die Eltern eines Kindes getrennt sind, sich das Kind bei dem im EU-Ausland lebenden Elternteil aufhält und der in Deutschland lebende Elternteil Kindergeld für dieses Kind begehrt. Der EuGH v 12.10.2015, C-378/14, (Trapkowski), HFR 2015, 1190 hat entschieden, dass die Fiktion auch bei der Prüfung, welcher Elternteil nach § 64 Abs 2 S 1 EStG vorrangig kindergeldberechtigt ist, Anwendung findet; nachfolgend BFH v 04.02.2016, III R 17/13, BStBl II 2016, 612. Der danach anspruchsberechtigte Elternteil kann seine Antragsberechtigung nicht auf den anderen Elternteil wirksam übertragen oder Letzteren wirksam zu einer Antragstellung im eigenen Namen ermächtigen, BFH v 23.08.2016, V R 19/15, BStBl II 2016, 958. Das Kindergeld ist aufgrund eines in Deutschland gestellten Antrags an den im Ausland lebenden Elternteil zu zahlen, BFH v 04.02.2016, III R 17/13, BStBl II 2016, 612.
Sind die beiden Elternteile in unterschiedlichen Mitgliedstaaten erwerbstätig, wird durch Art 60 Abs 1 S 2 VO (EG) Nr 987/2009 bei der Prüfung der Leistungsansprüche des jeweiligen Elternteils im jeweiligen Beschäftigungsstaat fingiert, dass alle Familienangehörigen den Rechtsvorschriften dieses Staates unterfallen und dort wohnen. Aufgrund der Familienbetrachtung kann sich auch ein (zusätzlicher) Anspruch des in einem Mitgliedstaat wohnenden Elternteils auf Familienleistungen im Beschäftigungsstaat des anderen Elternteils ergeben.
Dies ist nach A 29 Abs 2 S 3 DA-KG 2021 auch dann anzunehmen, wenn aufgrund der Übersch...