Entscheidungsstichwort (Thema)
Widerruf einer Klagerücknahme auch bis zur Einwilligung des Beklagten nicht möglich
Leitsatz (redaktionell)
- Der Widerruf einer Klagerücknahme ist grds. nicht möglich. Dies dient dem Interesse einer eindeutigen und klaren prozessrechtlichen Lage.
- Die Rücknahmeerklärung wird nur dann nicht wirksam, wenn dem zuständigen Gericht vorher oder gleichzeitig ein Widerruf zugeht.
- Diese Grundsätze gelten auch, wenn die Einwilligung des FA zur Klagerücknahme erforderlich ist.
Normenkette
FGO § 72 Abs. 1; BGB § 130 Abs. 1 S. 2
Streitjahr(e)
1992, 1993, 1994, 1995, 1996, 1997, 1998, 1999
Tatbestand
Die Kläger begehren für die Streitjahre 1992 bis 1999 die Berücksichtigung der von ihnen in den entsprechenden Steuererklärungen geltend gemachten Vorkosten nach § 10 e Abs. 6 Einkommensteuergesetz (EStG).
Nachdem das Gericht den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung für die Streitjahre (AktZ. 9 V 134/02) mit Beschluss vom 26. November 2002 zurückgewiesen hatte, erklärten die Kläger durch ihren Prozessbevollmächtigten mit Schriftsatz vom 15. September 2003 die Klagerücknahme. Der damalige Berichterstatter stellte daraufhin das Verfahren mit Beschluss vom 17. September 2003 nach Maßgabe des § 72 Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ein.
Als der Kläger persönlich mit Schriftsatz vom 30. September 2003 vortrug, die Klagrücknahme sei ohne sein Einverständnis erfolgt; er bitte um Prüfung, wie diese Rücknahme „rückgängig gemacht” werden könne, erfolgte eine nochmalige Durchsicht der Gerichtsakte. Sie ergab, dass sowohl der Prozessbevollmächtigte (Schriftsatz vom 10. September 2001) als auch der Beklagte (Finanzamt – FA -) (Schriftsatz vom 22. Januar 2002) auf mündliche Verhandlung verzichtet hatten. Eine Einwilligung des FA zur Klagerücknahme lag zu diesem Zeitpunkt noch nicht vor. Der Senatsvorsitzende hob daraufhin in Vertretung des Berichterstatters mit Beschluss vom 6. Oktober 2003 den ursprünglichen Beschluss vom 17. September 2003 – die Einstellung des Verfahrens – auf, da die Rücknahme bislang mangels Einverständnisses des FA noch nicht wirksam geworden war.
Mit Schriftsatz vom 16. Januar 2004 teilte das FA mit, dass es seine Einwilligung zur Rücknahme der Klage erteile.
Die Kläger fragten anschließend an, wann mit den geänderten Bescheiden durch das FA zu rechnen sei. Erst dann sähen sie das Verfahren als erledigt an.
Die Kläger beantragen (sinngemäß),
die Einkommensteuer 1992 bis 1999 unter Änderung der Einspruchsentscheidung, Aufhebung der Änderungsbescheide 1992 bis 1998 und Änderung des Bescheids 1999
für 1992 auf 17.674,00 DM,
für 1993 auf 21.792,00 DM,
für 1994 auf 20.278,00 DM,
für 1995 auf 22.272,00 DM,
für 1996 auf 18.772,00 DM,
für 1997 auf 19.936,00 DM,
für 1998 auf 18.868,00 DM und
für 1999 auf 18.858,00 DM herabzusetzen.
Das FA beantragt (sinngemäß),
festzustellen, dass die Klage zurückgenommen ist.
Durch seine Einwilligung zur Klagerücknahme sei die Klage als erledigt anzusehen.
Die Beteiligten haben übereinstimmend auf die mündliche Verhandlung verzichtet (§ 90 Abs. 2 FGO).
Entscheidungsgründe
Die Klage ist wirksam zurückgenommen.
Die Voraussetzungen einer Klagerücknahme nach § 72 Abs. 1 FGO liegen inzwischen vor. Die Kläger haben die Klagerücknahme erklärt und das FA hat dieser Rücknahme zugestimmt.
Die Kläger haben durch ihren Prozessbevollmächtigten die Rücknahme der Klage wirksam erklärt. Alle Prozesshandlungen des Bevollmächtigten wirken unmittelbar für und gegen die Beteiligten, § 155 FGO in Verbindung mit § 85 Abs. 1 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO).
Als Prozessbevollmächtigter der Kläger war er auch zur Klagerücknahme befugt. Bevollmächtigte, die mit der Prozessführung beauftragt sind, dürfen grundsätzlich auch eine Klage zurücknehmen. Etwas anderes gilt nur, wenn die Kläger die Vollmacht von vornherein, und zwar auch dem Gericht erkennbar, insoweit eingeschränkt haben, beziehungsweise vor der Rücknahmeerklärung die Vollmacht insoweit widerrufen haben. (Vgl. Brandis in Tipke/Kruse FGO § 72 Rz. 5 m.w.Nw.) Eine solche Beschränkung der Vollmacht war für das Gericht nicht erkennbar. Die Prozessvollmacht lag dem Gericht zwar nicht vor, es konnte indes aufgrund des Auftretens des Prozessbevollmächtigten von dessen umfassender Prozessvollmacht ausgehen.
Die einmal erklärte Klagerücknahme ist für die Kläger bindend, sie konnte von dem Kläger nicht wirksam widerrufen werden.
Das Schreiben des Klägers, in dem er dem Gericht mitteilt, dass sein Steuerberater die Klage ohne sein Einverständnis zurückgenommen habe und er das Gericht um Prüfung bittet, wie diese Rücknahme „rückgängig gemacht” werden könne, ist als Widerruf der ursprünglichen Erklärung der Klagerücknahme zu sehen. Dieser Widerruf ist beim zuständigen Gericht eingegangen, nachdem die Rücknahmeerklärung bereits dem Gericht vorlag und bevor das Finanzamt der Klagerücknahme zugestimmt hatte.
Dieser Widerruf bleibt ohne Wirkung, da er nicht mehr zulässig war.
Die Rücknahme der Klage ist eine Prozesshandlung durch Willense...