Entscheidungsstichwort (Thema)
Kryokonservierung von Eizellen – steuerfreie Umsätze?
Leitsatz (redaktionell)
- Umsätze aus der Kryokonservierung von Eizellen nach erfolgreicher erster Schwangerschaft fallen unter die Befreiungsvorschrift des § 4 Nr. 14 UStG.
- Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin müssen zwar therapeutischen Zwecken dienen, doch folgt daraus nicht zwangsläufig, dass die therapeutische Zweckbestimmtheit einer Leistung in einem besonders engen Sinne zu verstehen ist.
Normenkette
UStG 1999 § 4 Nr. 14; RL 77/388/EWG Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c
Streitjahr(e)
2004, 2005, 2006, 2007
Nachgehend
Tatbestand
Streitig ist die umsatzsteuerliche Behandlung der Erlöse aus der Kryokonservierung von befruchteten Eizellen.
Die Klägerin ist eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR). Die Mitglieder der GbR betreiben eine Arztpraxis für Reproduktionsmedizin, in der die komplette Diagnostik und Therapie von Paaren mit Kinderwunsch stattfindet.
Die Praxis führt künstliche Befruchtungen durch. Dazu werden zunächst der Patientin -oftmals nach vorheriger Hormonbehandlung - Eizellen entnommen. Diese Eizellen (regelmäßig nicht mehr als fünf) werden befruchtet und anschließend in der Praxis kryokonserviert. Die Klägerin führt die Kryokonservierung nur für eigene Patienten mit der Diagnose „Unfruchtbarkeit” durch.
Die Kosten für die Kryokonservierung einschließlich der damit zusammenhängenden ärztlichen Leistungen werden den Patienten bis zur erfolgreichen erstmaligen Schwangerschaft über die Abrechnungsstelle PADline in Rechnung gestellt.
Die anschließende jährliche Verlängerung der Kryokonservierung wird direkt über die Praxis (Klägerin) abgerechnet.
Im Rahmen einer Außenprüfung für die Streitjahr 2004 bis 2007 ermittelte die Prüferin folgende Erlöse (brutto) aus der jährlichen Verlängerung der Kryokonservierung:
2004 |
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11.420,78 EUR |
2005 |
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14.082,23 EUR |
2006 |
13.454,64 EUR |
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2007 |
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16.101,74 EUR |
Nach Rücksprache mit der Oberfinanzdirektion (OFD) Hannover nahm die Prüferin folgende Unterscheidung hinsichtlich der Kryokonservierung vor (siehe Tz. 18 des BP-Berichts vom 29.03.2010):
„Soweit die Konservierung im Zusammenhang mit einer konkreten Fruchtbarkeitsbehandlung dazu dient, überzählige Eizellen aufzubewahren und in einem späteren Zyklus einzusetzen, kann sie Teil einer steuerfreien Heilbehandlung sein. Diese Heilbehandlung endet mit dem eingetretenen Erfolg, d.h. mit der Schwangerschaft.
Bei den Beträgen aus der erstmaligen Konservierung (Abrechnung über PADline) ist davon auszugehen, dass diese der Heilbehandlung dienen, da zum Zeitpunkt der Aufbereitung/des Einfrierens eine Aussage über den Erfolg der Heilbehandlung nicht getroffen werden kann und daher davon auszugehen ist, dass diese noch nicht abgeschlossen ist. Die zur Konservierung durchgeführten vorbereitenden Maßnahmen (Analogziffern GOÄ 4655 und 4013) teilen dabei das Schicksal der Hauptleistung. Sofern die Konservierung daher innerhalb einer Behandlung erfolgt und nicht dazu dient, eine weitere Behandlung durchzuführen („zweite Schwangerschaft”) ist diese umsatzsteuerfrei.
Bei den oben aufgeführten Beträgen für die Verlängerung der Lagerung (Abrechnung durch die Praxis) ist davon auszugehen, dass es sich insgesamt um eine umsatzsteuerpflichtige Leistung handelt, da sich der Zeitraum einer Heilbehandlung nicht über ein Jahr hinauszögert.”
Der Beklagte erließ aufgrund der genannten Feststellungen der Außenprüfung geänderte Umsatzsteuerbescheide, in denen er die Umsätze aus der Verlängerung der Lagerung den umsatzsteuerpflichtigen Umsätzen zuordnete. Im Gegenzug gewährte er anteilige Vorsteuern aus der Kryokonservierung (siehe Tz 21 i. V. m. Anlage 4 des BP-Berichts vom 29. März 2010).
Hiergegen wendet sich die Klägerin nach erfolglosem Einspruch mit ihrer Klage. Sie trägt vor, nach der europäischen Mehrwertsteuerrichtlinie und den sie konkretisierenden Regelungen des deutschen Umsatzsteuerrechts seien ärztliche Leistungen steuerfrei, wenn sie zur Feststellung, Heilung oder Linderung von Krankheiten, Leiden oder Körperschäden beim Menschen erbracht würden. Auch bei Leistungen zur vorbeugenden Gesundheitspflege gelte die Umsatzsteuerbefreiung. Danach sei alles, was der Prävention, der Diagnose, der Heilung oder der Linderung diene, umsatzsteuerfrei.
Entscheidend sei, dass mit der Behandlung ein konkretes medizinisch-therapeutisches Ziel verfolgt werde. Bei der Kryokonservierung im Rahmen der Reproduktionsmedizin – also dem Einfrieren und der Lagerung von Eizellen – liege ein konkretes therapeutisches Ziel vor, da die Schwangerschaft dem Bereich der Heilbehandlung zuzuordnen sei.
Wenn der BFH (XI R 83/07 – Einlegen von empfängnisverhütenden Spiralen) die Verhinderung einer ungewollten Schwangerschaft zum ärztlichen Kernbereich gynäkologischer Tätigkeit zähle, könne für den spiegelbildlichen Fall, nämlich der Herbeiführung einer gewollten Schwangerschaft, nicht anderes gelten.
In diesem Zusammenhang seien auch di...