Entscheidungsstichwort (Thema)
Berechnung des Jahresgrenzbetrags für das Kindergeld
Leitsatz (redaktionell)
Bei der Berechnung des Jahresgrenzbetrags nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG sind Einkünfte und Bezüge, die z. B. durch Sozialversicherungsbeiträge und außergewöhnliche Belastungen gebunden sind, nicht einzubeziehen. Zu berücksichtigen ist nicht nur der erwerbssichernde Aufwand, Werbungskosten, Betriebsausgaben sondern auch der existenzsichernde Grund- und Mehraufwand, Sonderausgaben, außergewöhnliche Belastungen (Abw. zu BFH-Urt. v. 21.7.2000 – VI R 153/99, BStBl II 2000, 566).
Orientierungssatz
1. Nach dem Einkommensteuergesetz (EStG) erhalten Eltern für ihr volljähriges, in Ausbildung befindliches Kind dann das Kindergeld oder den Kinderfreibetrag, wenn es Einkünfte und Bezüge, die zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind, von (derzeit) nicht mehr als 7.188 Euro im Kalenderjahr hat. Dieser kindergeld- und kinderfreibetragsschädliche Grenzbetrag, der im Streitjahr 1997 12.000 DM betrug, soll in typisierte Form die Frage beantworten, ob Eltern gegenüber ihren erwachsenen Kindern noch unterhaltsverpflichtet sind und entsprechend über das Einkommensteuerrecht einen Familienleistungsausgleich erhalten.
2. Die gesetzliche Beschreibung der Jahresgrenze ist zugunsten der betroffenen Eltern so zu verstehen, dass Einkünfte (und Bezüge), die z. B. durch Sozialversicherungsbeiträge und außergewöhnliche Belastungen gebunden sind, aus der Berechnung ausscheiden. Entsprechend sind nur ungebundene Einkünfte (und Bezüge), die zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind, zu berücksichtigen. Mit anderen Worten: Nicht nur der erwerbssichernde Aufwand (Werbungskosten, Betriebsausgaben), sondern auch der existenzsichernde Grund- und Mehraufwand (Sonderausgaben, außergewöhnliche Belastungen), der insoweit Einkünfte (und Bezüge) zu gebundenen macht, ist bei der Grenzbetragsberechnung zu berücksichtigen. Danach beinhaltet § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG im Ergebnis keine bloße Einkunfts-, sondern strukturell eine die wirkliche finanzielle Leistungsfähigkeit abbildende Einkommensgrenze. Nur so stellt der kindergeld- und kinderfreibetragsschädliche Grenzbetrag eine den allgemeinen einkommenssteuerrechtlichen Sachgesetzlichkeiten entsprechende nachvollziehbare typisierte Bedürfnisgrenze dar.
3. Dieses Rechtsanwendungsergebnis entspricht den verfassungsrechtlichen Geboten der Besteuerung nach der finanziellen Leistungsfähigkeit, der Folgerichtigkeit und der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung, die vom Bundesverfassungsgericht aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) entwickelt worden sind, sowie dem Grundsatz der Praktikabilität. Dagegen darf die Berechnungsproblematik des Jahresgrenzbetrags zu Lasten der betroffenen Eltern nicht dadurch gelöst werden, dass das finanzielle Existenzminimum zuzüglich des zwangsläufigen privaten Mehrbedarfs in typisierender Form dem mit der Höhe des allgemeinen Grundfreibetrags (derzeit 7.235 Euro) gleichgesetzt wird. Denn dieser Grundfreibetrag bildet im Einkommensteuerrecht typisierend nur den Grundbedarf einer Person ab.
4. Das Gericht folgt damit im Ergebnis der Entscheidung des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 20. Juli 1999 VII 471/98 Ki (EFG 1999, 1137), die der vormals zuständige 6. Senat des Bundesfinanzhofs mit Urteil vom 21. Juli 2000 VI R 153/99 (BStBl. II 2000, 566) aufgehoben hatte. Wegen Abweichung von der Rechtsprechung des 6. Senats des Bundesfinanzhofs und wegen grundsätzlicher Bedeutung wird die Revision zugelassen. Der inzwischen zuständige 8. Senat des Bundesfinanzhofs wird über die verfassungskonforme Berechnung des Jahresgrenzbetrages im Kindergeld- und Kinderfreibetragsrecht zu entscheiden haben. Zwar hat der 8. Senat des Bundesfinanzhofs in seinem Urteil vom 16. April 2002 VIII R 76/01 (BStBl. II 2002, 525, 526) die Entscheidung des 6. Senats vom 21. Juli 2000 VI R 153/99 herangezogen, jedoch ohne erkennbare erneute Überprüfung der zum Teil neuen Argumente aus der Fachliteratur.
Normenkette
EStG § 32 Abs. 4 S. 2; GG Art. 3
Nachgehend
Tatbestand
Streitig ist, ob die volljährige Tochter des Klägers mit ihrem Einkommen den kindergeldschädlichen Grenzbetrag für 1997 in Höhe von 12.000 DM des § 32 Abs. 4 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) überschreitet.
Der Kläger ist Angehöriger des öffentlichen Dienstes. Er beantragte für seine am 28. Dezember 1975 geborene Tochter Iris Kindergeld bei der beklagten Behörde. Iris befand sich während des gesamten Jahres 1997 in einer integrierten Ausbildung zur Industriekauffrau und Diplom-Betriebswirtin; das Studium war dabei fester Bestandteil des Bildungsprogramms.
Die Einnahmen und Ausgaben von Iris im Jahre 1997 ergeben sich aus ihrem Einkommensteuerbescheid des Finanzamts L. vom 12. Juni 1998:
Arbeitslohn |
27.095 DM |
Werbungskosten |
./. 14.112 DM |
Gesamtbetrag der Einkünfte |
12.983 DM |
Sonderausgabenpau... |