Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftung nach § 74 AO
Leitsatz (redaktionell)
- Zu den Voraussetzungen der Haftung gem. § 74 Abs. 1 Satz 1 AO.
- Die sog. Personengruppentheorie ist auf Haftungsbescheide i.R.d. § 74 AO nicht anwendbar.
Normenkette
AO § 74
Nachgehend
Tatbestand
Der Kläger war als Kommanditist an der A GmbH & Co. KG (künftig KG genannt) zu … % und als Gesellschafter an der B GmbH (künftig GmbH genannt) unmittelbar zu … % und mittelbar zu … %, insgesamt zu … %, beteiligt. Weitere Kommanditisten der KG und Gesellschafter der GmbH waren … . Bei diesen Personen handelt es sich um die in … Familienstämme (…) gegliederten Angehörigen der x. Generation nach dem Firmengründer …. Nach dem im Haftungszeitraum gültigen Gesellschaftsvertrag der KG war eine Übertragung von Anteilen - auch im Erbfall - nur an leibliche und eheliche Kinder möglich. Gesellschaftsrechtlich war keine gesonderte Regelung zur Ausübung des Stimmrechts vereinbart. Eine Stimmrechtsbindung bestand ebenfalls nicht. … .
Die KG hatte ihrem wesentlichen Unternehmenszweck entsprechend der GmbH … im Wege einer Betriebsaufspaltung Teile ihres Betriebsvermögens, und zwar diverse Grundstücke und Gegenstände (Betriebs- und Geschäftsausstattung) … verpachtet. Ferner übernahm die GmbH die öffentlichen Abgaben und Steuern mit Ausnahme der seitens der Verpächter zu tragenden Einkommen- und Vermögensteuern (sog. Steuer-Pacht). Wegen der Einzelheiten wird auf den Pachtvertrag verwiesen. Gegenstand der GmbH war die Herstellung von Fahrzeugen u.a. sowie die damit in Zusammenhang stehenden Dienstleistungen.
Der Kläger war in den Jahren 2006 bis 2008 als Geschäftsführer der GmbH für die Ressorts „…” zuständig. … .
Nachdem Anschlussaufträge für die Fahrzeugproduktion fehlten, stellte die GmbH am 8. April 2009 beim Amtsgericht…einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens wegen drohender Zahlungsunfähigkeit. … . Mit Beschluss des Amtsgerichts…vom 8. April 2009 (Az.: …) wurde RA … antragsgemäß zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt. Verfügungen der GmbH waren nur mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters möglich (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO). Mit Beschluss des Amtsgerichts…vom 29. Juni 2009 wurde über das Vermögen der GmbH das Insolvenzverfahren eröffnet. Wegen der Einzelheiten wird auf die Beschlüsse verwiesen.
KG und GmbH waren seit Anfang der 80-iger Jahre einvernehmlich mit dem Beklagten davon ausgegangen, dass zwischen der KG als Organträgerin und der GmbH als Organgesellschaft umsatzsteuerrechtlich eine Organschaft bestand. Dementsprechend waren von der KG Umsatzsteuererklärungen 2006 und 2007 und Umsatzsteuervoranmeldungen Januar 2008 bis Februar 2009 einschließlich der Umsätze der GmbH unter ihrer Steuernummer abgegeben worden. Die festgesetzten und zu zahlenden Umsatzsteuern wurden entsprechend den Bestimmungen des Pachtvertrages von der GmbH unmittelbar auf das Steuerkonto der KG beim Beklagten überwiesen. Die Zahlungen umfassten damit auch den Anteil der zu zahlenden Umsatzsteuern, die nicht auf Lieferungen und Leistungen der GmbH beruhten.
Mit Schreiben vom 11. Mai 2009 machte die KG gegenüber dem Beklagten geltend, dass die Voraussetzungen für eine umsatzsteuerrechtliche Organschaft ab März 2009 nicht mehr vorlägen. Zur Begründung der fehlenden wirtschaftlichen Eingliederung führte die KG aus, … . Die GmbH habe es im März 2009 erstmals abgelehnt, Forderungen der KG aus Pachtzahlungen auf Basis des im März 2009 erstellten Jahresabschlusses 2008 zu zahlen. Hinsichtlich der fehlenden organisatorischen Eingliederung machte die KG geltend, … .
Am 11. Mai 2009 wurden sowohl von der KG wie auch von der GmbH für die Monate März und April 2009 getrennte Umsatzsteuervoranmeldungen eingereicht. Abweichend davon setzte der Beklagte die Umsatzsteuer für die Monate März bis Juni 2009 unter Berücksichtigung einer umsatzsteuerlichen Organschaft bei der KG fest. Der dagegen von der KG eingelegte Einspruch war mit der Erteilung von Änderungsbescheiden vom 10. November 2009 erfolgreich. Nach Erteilung entsprechender Berechnungen gegenüber dem Insolvenzverwalter der GmbH für die Voranmeldungszeiträume März bis Juni 2009 meldete der Beklagte im November 2009 Forderungen in Höhe von … € zur Insolvenztabelle an.
Die KG erklärte daraufhin in ihrer am 26. Mai 2010 eingereichten Umsatzsteuerjahreserklärung 2008 ohne Berücksichtigung einer Organschaft nur noch die selbst von ihr bewirkten Umsätze unter Berücksichtigung von Vorsteuerabzugsbeträgen. Hieraus ergab sich ein der KG zustehender Erstattungsbetrag i.H.v. … €. Vor dem Hintergrund des BFH-Urteils vom 22. April 2010 (V R 9/09, BStBl II 2011, 597), mit dem der BFH seine vorangegangene Rechtsprechung zur finanziellen Eingliederung im Rahmen einer umsatzsteuerrechtlichen Organschaft aufgegeben hatte, stimmte der Beklagte der Umsatzsteuererklärung 2008 am 9. Dezember 2010 zu. Der Beklagte zahlte das Guthaben nicht an die KG aus, sondern verrechnete es mit rück...