Leitsatz (amtlich)
Zu den Voraussetzungen der Haftung eines Gerichtssachverständigen wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und Freiheitsentziehung auf Schmerzensgeld wegen Erstattung eines objektiv falschen anthropologischen Vergleichsgutachtens, das in einem Strafprozess zur Verurteilung des (unschuldigen) Angeklagten zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe führte.
Normenkette
BGB § 823 Abs. 1, § 847
Verfahrensgang
LG Hanau (Aktenzeichen 9 O 1023/01) |
Gründe
I. Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche (Schmerzensgeld) aufgrund eines von dem Beklagten erstatteten anthropologischen Vergleichsgutachtens im Strafverfahren gegen den Kläger vor dem LG Nürnberg/Fürth, in dem der Kläger u.a. wegen schwerer räuberischer Erpressung zu einer langjährigen Freiheitsstrafe verurteilt wurde.
Am 19.12.1991 wurde die Filiale A der Stadtsparkasse O1 durch einen Bankräuber überfallen. Die im Schalterraum der Bank installierte automatische Überwachungskamera fertigte dabei mehrere Lichtbilder des Täters. Nachdem diese Lichtbilder in einer Fernsehsendung ("XY- ungelöst") gezeigt wurden und ein Kriminalbeamter in O1 der Auffassung war, den Kläger als möglichen Täter des Banküberfalls zu erkennen, wurde dieser festgenommen. Der (damals vorbestrafte) Kläger befand sich daraufhin in der Zeit vom 22.5.1992 bis zum 20.12.1994 in Untersuchungshaft. Im Rahmen des von der Staatsanwaltschaft bei dem LG Nürnberg/Fürth durchgeführten Ermittlungsverfahrens gegen den Kläger wurde der Beklagte als Sachverständiger beauftragt, ein anthropologisches Vergleichsgutachten, basierend auf den Originalbildern des Täters, aufgenommen von der automatischen Überwachungskamera der Bank, sowie von ihm angefertigten Vergleichsbildern des Klägers zu erstellen. In dem unter dem 12.11.1992 erstatteten schriftlichen Gutachten (Bl. 731 ff. d.A.) erläuterte der Beklagte zunächst seinen methodologischen Untersuchungsansatz und die anzuwendenden Bewertungsmaßstäbe. Dabei wird herausgestellt, dass "für den Nachweis der Personengleichheit je nach Aussagekraft der gutachterlich erfassbaren Merkmale bereits 10-15 diagnostisch bedeutsame Kriterien ausreichen", während erfahrungsgemäß "einige wenige Merkmalsverschiedenheiten kein Argument gegen eine Personenverschiedenheit sind, zumal solche Diskrepanzen erfahrungsgemäß externen Faktoren unterliegen". Sodann stellte der Beklagte anhand verschiedener Merkmalsvergleiche fest, dass der Kläger "mit sehr großer Wahrscheinlichkeit" mit der Person auf den Täterbildern identisch sei.
Der Beklagte erstattete auf der Grundlage seines schriftlichen Gutachtens im Hauptverhandlungstermin vom 27.1.1994 vor der Strafkammer des LG Nürnberg/Fürth (Az.: 7 Kls 234 Js10997/92) ein anthropologisches Vergleichsgutachten.
Das LG Nürnberg/Fürth verurteilte den Kläger mit Urteil vom 16.2.1994 wegen des Überfalls auf die Sparkasse sowie einer Urkundenfälschung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 9 Jahren. Die Strafkammer führte in ihrer schriftlichen Urteilsbegründung u.a.aus:
"Die Kammer ist bereits aufgrund des Identitätsgutachtens des Sachverständigen für anthropologische Vergleichsgutachten, Dr. B, der den Angeklagten mit sehr großer Wahrscheinlichkeit als identisch mit dem Täter des Bankraubs bezeichnet hat, von der Täterschaft des Angeklagten überzeugt ...
Als Ergebnis seiner umfangreichen Untersuchungen hat der Sachverständige nach ausführlicher und überzeugender Darlegung seines Gutachtens ausgeführt, der Angeklagte sei mit 'sehr großer Wahrscheinlichkeit' mit dem Täter des Überfalls identisch. In Prozent ausgedrückt bezeichnete der Sachverständige die Wahrscheinlichkeit als "weit oben im 90er Bereich angesiedelt, über 98 %. Allein aus formalen Gründen habe er keine 100%ige Wahrscheinlichkeit angenommen, für ihn bestehe an der Täterschaft des Angeklagten jedoch "keinerlei Zweifel". Es sei nach seiner Berufserfahrung 'unvorstellbar', dass eine andere Person als Täter in Betracht kommen könne ... Der Sachverständige konnte auch sonst keinerlei Abweichungen zwischen dem Täter und dem Angeklagten feststellen ...".
Ergänzend hat sich die Strafkammer, der das Gutachten des Beklagten "bereits alleine zur Überzeugungsbildung ausgereicht hätte", auf die Aussagen unmittelbarer Tatzeugen gestützt, die den "Angeklagten ebenfalls als Täter identifiziert haben ...", wobei die Kammer angesichts der Schwächen im Identifizierungsverfahren die Aussagen der Zeugen "besonders vorsichtig gewürdigt" habe und zudem berücksichtigt habe, dass "der Beweiswert des wiederholten Wiedererkennens an sich nur gering zu veranschlagen ist", u.a. weil im Ermittlungsverfahren keine Wahlgegenüberstellung durchgeführt worden sei. Wegen der weiteren Einzelheiten der Urteilsbegründung wird auf die Strafakten (Bl. 784 ff. d. BA.) verwiesen.
Die Revision des Klägers gegen seine Verurteilung wurde mit Beschluss des BGH vom 20.12.1994 zurückgewiesen.
Der Kläger verbüsste die Freiheitsstrafe vom 21.12.1994 bis zum 14.2.2001, unterbrochen durch eine Strafrestvollstrecku...