Rz. 12
Eine Schwierigkeit der Ertragswertermittlung besteht allerdings darin, dass die künftigen jährlichen Reinerträge teilweise über einen langen Zeitraum sachgerecht prognostiziert werden müssen.
Kernfrage des Ertragswertverfahrens
Die auf der Grundlage des Baugesetzbuchs erlassenen Vorschriften zur Verkehrswertermittlung lösen dieses Problem, indem sie in den §§ 28, 29 ImmoWertV i. V. m. den §§ 21, 34 ImmoWertV sowohl für das allgemeine als auch für das vereinfachte Ertragswertverfahren vorschreiben, dass die am Wertermittlungsstichtag marktüblich erzielbaren Erträge mithilfe eines aus dem Marktgeschehen abgeleiteten dynamischen Kapitalisierungszinssatzes (Liegenschaftszinssätze gem. § 21 Abs. 1 und 2 sowie § 21 ImmoWertV) zu kapitalisieren sind. Mit dem Liegenschaftszinssatz werden die Erwartungen der Marktteilnehmer hinsichtlich der Entwicklung der allgemeinen Ertrags- und Wertverhältnisse auf dem Grundstücksmarkt erfasst. Er dynamisiert entsprechend diesen Erwartungen die angesetzte Anfangsrendite. Diese – auch international gebräuchliche – Methode berücksichtigt somit die objektive Betrachtungsweise des Grundstücksmarktes und gewährleistet eine zukunftsorientierte Wertermittlung.
Der Ertragswert ist somit nicht nur ein rein stichtagsbezogener Wert, sondern gleichzeitig auch ein in die Zukunft gerichteter Wert. Er bestimmt sich maßgeblich durch den Nutzen, den das Grundstück seinem Eigentümer ermöglicht. Die gilt unabhängig davon, ob der Eigentümer ggf. aus subjektiven Gründen darauf verzichtet, diesen Nutzen aus dem Grundstück tatsächlich zu ziehen.
Soweit die Ertragsverhältnisse absehbar wesentlichen Veränderungen unterliegen oder wesentlich von den marktüblichen Erträgen abweichen, kann der Ertragswert nach § 30 ImmoWertV auch auf der Grundlage periodisch unterschiedlicher Erträge im periodischen Ertragswertverfahren ermittelt werden.
Rz. 13
Der Begriff und die Ermittlung der marktüblich erzielbaren Erträge wurden insbesondere im Zusammenhang mit der Einführung der vormaligen ImmoWertV vom 19.5.2010 thematisiert. Der Verordnungsgeber hatte seinerzeit im Gegensatz zur vormaligen Wertermittlungsverordnung (WertV 1988) die – marktüblich – erzielbaren Erträge anstelle der – nachhaltig – erzielbaren Erträge zum Ausgangspunkt der Ertragswertermittlung gemacht. Hierdurch sollte jedoch nur der Marktbezug der Verordnung betont werden. Eine Änderung in der Wertermittlungsmethodik war damit nicht verbunden. Marktübliche Erträge sind ebenfalls nachhaltig erzielbar.
Nach Auffassung des Verordnungsgebers können als marktüblich erzielbare Erträge nur die nach den Marktverhältnissen am Wertermittlungsstichtag für die jeweilige Grundstücksart in vergleichbaren Objekten durchschnittlich erzielten Erträge zugrunde gelegt werden. Diese können von den mit dem Wertermittlungsobjekt tatsächlich erzielten Erträgen abweichen. Im Rahmen der Verkehrswertermittlung bzw. der Kaufpreisauswertung sind daher die bestehenden Mietverträge auf Marktüblichkeit zu überprüfen. Hierfür kann bei Wohnraum in erster Linie auf die ortsübliche Vergleichsmiete (§ 558 Abs. 2 BGB) zurückgegriffen werden, die sich aus Mietspiegeln oder anhand von Vergleichsobjekten ergibt. Die marktübliche Miete muss auch nach allgemeinen mietrechtlichen Bestimmungen zulässig sein. Im gewerblichen Bereich bietet es sich nach Auffassung des Verordnungsgebers an, entsprechend vorzugehen. Liegen von den marktüblichen Ertragsverhältnissen abweichende Verhältnisse vor, etwa aufgrund wohnungs- oder mietrechtlicher Bindungen, sind diese als besondere objektspezifische Grundstücksmerkmale nach § 8 Abs. 3 ImmoWertV zu berücksichtigen.
Temporäre Mehr- oder Mindererträge werden bei der Verkehrswertermittlung grundsätzlich erst nach der Ermittlung des marktangepassten vorläufigen Ertragswerts im Rahmen der besonderen objektspezifischen Grundstücksmerkmale – außerhalb des Modells – sachverständig berücksichtigt (Rz. 23).