Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulässigkeit des Einspruchs einer vollbeendeten Personengesellschaft zur Beseitigung des Rechtsscheins der Einspruchsentscheidung. Vertretung einer in Liquidation befindlichen Personengesellschaft. Feststellungsbescheid 1993 vom 22.7.1996
Leitsatz (redaktionell)
1. Mit der Vollbeendigung der Personengesellschaft entfällt ihre Befugnis, für ihre Gesellschafter Rechtsbehelfe gegen Gewinnfeststellungsbescheide einzulegen. Dies kann jedoch nicht dazu führen, dass die Gesellschaft danach nicht mehr klagebefugt gegen eine ihr gegenüber ergangene Einspruchsentscheidung ist. Die Einspruchsentscheidung ist angesichts des mit ihr verbundenen Rechtsscheins ihrer Gültigkeit geeignet, die Interessen der (beendeten) Gesellschaft zu berühren. Der Rechtsschein ist aus Gründen der Rechtsklarheit durch formelle Aufhebung der Einspruchsentscheidung zu beseitigen.
2. Weist die Gesellschafterversammlung einer in Auflösung befindlichen Personengesellschaft einen der Gesellschafter an, umgehend alle Schritte einzuleiten, die mit der Auflösung in Zusammenhang stehen, so enthält diese Anweisung eine stillschweigende Vereinbarung dergestalt, dass der betroffene Gesellschafter zum Liquidator bestellt wurde. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Frage der Wirksamkeit der Einspruchsentscheidung ist dieser für die vollbeendete Gesellschaft auch vertretungsberechtigt, denn nur so bleibt der Gesellschaft die Möglichkeit, eine ihr gegenüber zu Unrecht ergangene Einspruchsentscheidung zu beseitigen.
Normenkette
AO 1977 §§ 350, 352 Abs. 1 Nrn. 1, 3, § 179 Abs. 2, § 358; FGO § 40 Abs. 2, § 48 Abs. 1 Nr. 1 Abs. 1 Nr. 3, § 58 Abs. 2 S. 1; BGB § 730 Abs. 2 S. 2
Nachgehend
Tenor
1. Die Einspruchsentscheidung vom 04.02.1997 wird aufgehoben.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Die Kosten des Verfahrens tragen die Beteiligten jeweils zur Hälfte.
4. Die Revision wird zugelassen.
5. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Die Klägerin ist eine Gesellschaft, die mit notariellen Vertrag vom 29.07.1992 in Chemnitz vor dem amtierenden Notar Dr. H. als Gesellschaft mit beschränkter Haftung gegründet wurde. Eine Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister erfolgte nicht. Im Rahmen einer außerordentlichen Gesellschafterversammlung vom 26.02.1993 wurde die Auflösung der Gesellschaft zum 28.02.1993 beschlossen. Der Gesellschafter Herr M. wurde angewiesen, die diesbezüglich erforderlichen Schritte einzuleiten. In dem Protokoll der außerordentlichen Versammlung der Gesellschafter wurde festgestellt, dass dem Kapital der Gesellschaft i.H.v. 120.000,– DM Ausgaben in gleicher Höhe gegenüberstehen.
Am 29.12.1995 reichte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin beim Beklagten (dem Finanzamt –FA–) eine Erklärung zur gesonderten und einheitlichen Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für die Einkommensbesteuerung 1993 mit dazugehöriger Gewinnermittlung ein. Das FA berücksichtigte die in der Erklärung geltend gemachten Verluste nicht, weil die Gesellschaft weder angemeldet worden sei noch sonst Angaben zur Tätigkeit der Gesellschaft vorliegen würden. Der hiergegen im Namen der Klägerin eingelegte Einspruch wurde mit Entscheidung vom 04.02.1997 als unzulässig verworfen. Als Begründung führte der Beklagte aus, dass eine Gesellschaft des Bürgerlichen Rechts einkommensteuerrechtlich keine eigene Rechtsfähigkeit besitze.
Hiergegen hat die Klägerin am 04.03.1997 unter Vorlage einer Vollmacht, die von Herrn M. unterzeichnet war, Klage erhoben. Sie trägt vor, nach § 352 Abs. 1 Nr. 3 der Abgabenordnung (AO) stehe die Rechtsbehelfsbefugnis bei den einheitlichen Feststellungsbescheiden über Einkünfte aus Gewerbebetrieb grundsätzlich nur dem vertretungsberechtigten geschäftsführenden Gesellschafter zu. Diese Person sei für die Gesamtheit der Gesellschafter rechtsbehelfsbefugt. Die Gesellschaft sei daher berechtigt gewesen, durch ihren vertretungsberechtigten geschäftsführenden Gesellschafter Einspruch gegen den Feststellungsbescheid 1993 vom 22.07.1996 einzulegen. Zum Zeitpunkt des Auflösungsbeschlusses am 26.02.1993 sei die Gesellschaft auch noch nicht nach handelsrechtlichen Grundsätzen vollbeendet gewesen. So habe insbesondere noch ein Mietvertrag gekündigt, ein Darlehen zurückgeführt, die steuerliche Abwicklung der Gesellschaft vorgenommen und der Betriebssitz aufgelöst werden müssen. Die rückständige Miete sei dann auch bis Mai 1997 gezahlt worden; die Darlehenschuld sei bis heute noch nicht getilgt. Im Rahmen der Abwicklung habe die Gesellschaft alle Verbindlichkeiten – mit Ausnahme des Darlehens – aus Mitteln der Gesellschaft, die die Gesellschafter in die Gesellschaft eingebracht hätte...