Rz. 2
Der Anspruch des Arbeitnehmers auf Arbeitsentgelt geht bereits im Zeitpunkt der Beantragung von Insolvenzgeld auf die Bundesagentur für Arbeit über, soweit er einen Anspruch auf Insolvenzgeld begründet. Damit wird die Bundesagentur für Arbeit bereits zu einem frühen Zeitpunkt in die Lage gesetzt, alles Erforderliche für die Realisierung des Anspruchs zu unternehmen. Für den Forderungsübergang genügt schon die entfernte Möglichkeit, dass Ansprüche auf Arbeitsentgelt in noch ungeklärter Höhe bestehen (BAG, Urteil v. 27.7.2017, 6 AZR 801/16; Peters-Lange, in: Gagel, SGB III, § 169 Rz. 6 "hinreichende Anhaltspunkte" mit Hinweis auf die frühere BSG- und BAG-Rechtsprechung). Nicht erforderlich ist, dass die Anspruchsvoraussetzungen für das Insolvenzgeld bereits feststehen. Es genügen hinreichende Anhaltspunkte für die Leistungspflicht der Bundesagentur (vgl. BSG, Urteil v. 17.7.1979, 12 RAr 15/78). Der Übergang findet auch dann statt, wenn das Insolvenzereignis bei Antragstellung noch nicht eingetreten ist. Die Vorlage des Bescheids der Bundesagentur für Arbeit über die Bewilligung von Insolvenzgeld in beglaubigter Kopie (§§ 29, 30 SGB X) reicht als Nachweis für den Anspruchsübergang aus § 169 sowie für die Titelumschreibung auf den Rechtsnachfolger des Gläubigers nach § 727 Abs. 1 ZPO aus (LAG Düsseldorf, Urteil v. 5.4.2005, 16 Ta 115/05).
Rz. 3
Nach dem klaren Gesetzeswortlaut ist es für den Übergang der Forderung nicht erforderlich, dass schon ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt worden ist. So wird die Agentur für Arbeit in die Lage versetzt, beim Arbeitgeber frühzeitig (z. B. bereits bei der Bearbeitung des Antrags auf Insolvenzgeld) die übergegangene Entgeltforderung geltend zu machen und ggf. selbst einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens (§ 14 InsO) zu stellen. Hat der Arbeitnehmer vor der Beantragung von Insolvenzgeld Klage gegen den Arbeitgeber wegen offener Gehaltsansprüche erhoben, hat der Anspruchsübergang nach § 169 keine Auswirkungen auf die Prozessführungsbefugnis des Arbeitnehmers (Kühl, in: Brand, SGB III, § 169 Rz. 3 m. w. N.; Mutschler, in: Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann, SGB III, § 169 Rz. 4). Die Bundesagentur hat gegenüber dem Arbeitnehmer eine Treuhänderfunktion. Sie ist ggf. im Interesse des Arbeitnehmers zur Herbeiführung der Anspruchsvoraussetzungen für das Insolvenzgeld verpflichtet, den Eröffnungsantrag zu stellen (vgl. BSG, Urteil v. 17.7.1979, 12 RAr 15/78), wenn mangels Betriebseinstellung die Voraussetzungen des § 165 Abs. 1 Nr. 3 nicht vorliegen und anderweitig ein Eröffnungsantrag nicht gestellt wird; denn dem Arbeitnehmer, der auf das Insolvenzgeld (bzw. Arbeitsentgelt) angewiesen ist, soll nicht zugemutet werden, vorsorglich auf seine Kosten einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu stellen (vgl. BSG, a. a. O.).
Rz. 4
Die Bundesagentur ist auch aus einem anderen Grund verpflichtet, das Verfahren voranzutreiben. Wird nämlich später festgestellt, dass ein Insolvenzfall nicht vorliegt und daher Anspruch auf Insolvenzgeld nicht besteht, wird der Forderungsübergang gegenstandslos; der Arbeitsentgeltanspruch fällt an den Arbeitnehmer zurück, der ihn erst dann wieder gegenüber dem Arbeitgeber geltend machen kann (BAG, Urteil v. 27.7.2017, 6 AZR 801/16).
Rz. 5
Wird das Insolvenzverfahren eröffnet, ist die Bundesagentur ein Insolvenzgläubiger mit allgemeinem Rang gemäß § 38 InsO (nicht nachrangiger Insolvenzgläubiger i. S. d. § 39 InsO). Ist der Antrag auf Insolvenzgeld vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt worden, kann die Bundesagentur gegen etwaige Gegenforderungen des Arbeitgebers (z. B. Ansprüche auf Beitragserstattung) aufrechnen, weil ihre Forderung bereits vor der Verfahrenseröffnung entstanden ist und so § 96 Nr. 2 InsO nicht entgegensteht.
Rz. 5a
Macht der Arbeitnehmer einen Schadensersatzanspruch geltend, weil der Arbeitgeber ihn über eine Insolvenzlage des Unternehmens nicht unterrichtet hat und er den Arbeitsvertrag nicht unterzeichnet hätte, wenn er davon gewusst hätte, geht ein entsprechender Anspruch nicht auf die Bundesagentur für Arbeit über, wenn diese Insolvenzgeld an den Arbeitnehmer gezahlt hat. Es fehlt hier an der Kongruenz zwischen der Leistung des Insolvenzgeldes und dem Schadensersatzanspruch i. S. v. § 116 SGB X (LAG Hamburg, Urteil v. 28.9.2004, 2 Sa 25/04).
Rz. 5b
Die Vorschrift gilt auch im Fall des Betriebsübergangs. Der Übernehmer haftet daher grundsätzlich für Arbeitsentgelte, die gemäß § 169 übergehen. Allerdings ist die Haftung des Übernehmers bei Übernahme im Rahmen eines Insolvenzverfahrens für die bis zur Insolvenzeröffnung entstandenen Ansprüche ausgeschlossen, da insoweit die Verteilungsgrundsätze des Insolvenzverfahrens Vorrang haben. Der in § 169 angeordnete Anspruchsübergang beeinflusst den Beginn der Verjährung nicht. Bei einem Forderungsübergang läuft die einmal begonnene Verjährungsfrist gegenüber dem neuen Gläubiger unbeeinflusst von dem Gläubigerwechsel weiter (LAG Berlin-Brandenb...