Prof. Dr. Alexander Kratzsch
1 Einführung
Rz. 1
Der Sitz einer Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse entspricht für den steuerlichen Anwendungsbereich weitgehend dem Wohnsitz natürlicher Personen. Die Begründung des Sitzes ähnelt dagegen weniger der des steuerlichen Wohnsitzes als der des zivilrechtlichen Wohnsitzes, obwohl steuerlich stets nur ein Sitz möglich ist, während eine natürliche Person zivilrechtlich wie steuerlich gleichzeitig mehrere Wohnsitze nebeneinander haben kann. Der steuerliche und der zivilrechtliche Sitzbegriff stimmen grundsätzlich überein. Ein statuarischer Zweitsitz kann nach deutschem Recht nicht begründet werden. Auch das Steuerrecht lässt dies nicht zu. Wird nach dem ausländischen EU-Recht ausnahmsweise ein Zweitsitz tatsächlich anerkannt, muss dem auch das Steuerrecht folgen, da § 11 AO an das Zivilrecht anknüpft. Ausnahmsweise kann ein Sitz auch steuerrechtlich fehlen.
Rz. 2
Für den Sitz ist – außer in den wenigen Fällen der gesetzlichen Festlegung – die rechtsgeschäftliche Bestimmung im Gesellschaftsvertrag, in der Satzung, im Stiftungsgeschäft oder dgl. maßgebend. Er kann also frei gewählt werden. Demgegenüber richten sich der Wohnsitz und auch die Geschäftsleitung nach den tatsächlichen Verhältnissen und sind daher nur durch Veränderungen tatsächlicher Art gestaltbar. Zivilrechtlich wird allerdings nach der Sitztheorie auch ein vom statuarischen Sitz abweichender tatsächlicher Sitz für möglich gehalten. Zum fiktiven Sitz vgl. Rz. 7. Abweichend von der Geschäftsleitung begründet der Sitz keine Betriebsstätte.
Rz. 3
Während der Ort der Geschäftsleitung häufig allein genannt wird, wird der Ort des Sitzes als Anknüpfungspunkt für Rechtsfolgen meist neben dem der Geschäftsleitung genannt. Zu beachten ist, dass dies i. d. R. eine Gleichrangigkeit beider bedeutet. Nur wenn der Sitz als subsidiär gekennzeichnet ist oder eingesetzt wird, gilt diese Rangfolge. Das ist z. B. nach den meisten DBA und nach Art. 4 Abs. 3 OECD-MA 1977/92 der Fall.
2 Anwendungsbereich
Rz. 4
Der Sitz ist steuerlich vor allem für die Abgrenzung der Steuerpflicht und für die örtliche Zuständigkeit für die Besteuerung von Bedeutung. Für die unbeschränkte KSt-Pflicht nach § 1 Abs. 1 KStG und für die frühere VSt-Pflicht nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 VStG (für Vz vor 1997) der Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen ist der Sitz oder die Geschäftsleitung im Inland Voraussetzung. Entsprechendes gilt für die ErbSt-Pflicht nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d ErbStG. § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG und § 2 Abs. 1 Nr. 1d ErbStG stellen Geschäftsleitung und Sitz gleichrangig nebeneinander. Die örtliche Zuständigkeit für die Steuern vom Einkommen und Vermögen der Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen richtet sich zunächst nach dem Ort der Geschäftsleitung. Nur wenn sich die Geschäftsleitung nicht im Geltungsbereich der AO befindet, ist in der Stufenfolge der Ersatzanknüpfungspunkte nach § 20 AO als nächster der Ort des statuarischen Sitzes maßgebend. Der Sitz ist außerdem subsidiäres Anknüpfungsmerkmal nach den DBA, die Art. 4 Abs. 3 OECD-MA folgen. Für die USt-Vergütung an nicht im Inland ansässige Unternehmen gilt § 18 Abs. 9 UStG i. V. m. §§ 59ff. UStDV, wobei die Begriffe der Ansässigkeit und des "Sitzes" nicht nach § 11 AO, sondern richtlinienkonform auszulegen sind.
3 Begründung
Rz. 5
Der Sitz wird durch Gesetz, Gesellschaftsvertrag, Satzung, Stiftungsgeschäft oder dgl. bestimmt. Er folgt also meist aus einer rechtsgeschäftlichen Entscheidung (statuarischer Sitz), wird daher durch Rechtsakt bestimmt. Die Begründung des Sitzes kann als Realakt angesehen werden. Außer bei der gesetzlichen Sitzbestimmung ergibt sich der Sitz aus der Satzung oder dem Gesellschaftsvertrag. Dies entspricht den Regelungen in § 5 AktG und § 4a Abs. 1 GmbHG. Die gesetzliche Bestimmung des Sitzorts kommt zum einen in der Form einer Fiktion vor, wie z. B. für den nichtrechtsfähigen Verein in § 24 BGB und für die rechtsfähige Stiftung in § 80 BGB mit dem Ort der Führung der Verwaltung. Andererseits kann sie auch ...