Rz. 52
Die Entscheidung, ob zurückgenommen und ob nur mit Wirkung für die Zukunft oder auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden soll, steht im Ermessen der Finanzbehörde (vgl. auch Rz. 26; zu europarechtlichen Grenzen des Ermessens s. Rz. 30). Die Entscheidung über die Rücknahme ist auch dann eine Ermessensentscheidung, wenn die Entscheidung über den Erlass des Verwaltungsakts eine gebundene Entscheidung oder bei ihr das Ermessen reduziert war. Dabei ist auch das Maß des Verschuldens des Begünstigten zu berücksichtigen, etwa dass der Rücknahmegrund der Nr. 2 ohne Wissen des Begünstigten von einem Dritten verwirklicht wurde. Zu berücksichtigen sind auch die Auswirkungen der Rücknahme auf den Begünstigten, etwa wenn die Rücknahme erhebliche Umstellungen im Betrieb des Begünstigten erforderlich macht. Erforderlichenfalls ist eine angemessene Zeit für die Anpassung zu gewähren.
Rz. 53
Bei den Tatbeständen des Abs. 2 Nr. 2–4 kann der Ermessensspielraum der Behörde für die Rücknahme des Verwaltungsakts so weit reduziert sein, dass die Rücknahme die Norm ist. Diese Vorschriften enthalten als ermessenslenkende Vorgaben die Wertung des Gesetzgebers, dass regelmäßig eine Rücknahme zu erfolgen hat (intendiertes Ermessen). Das ist insoweit der Fall, als der Stpfl. nicht schutzwürdig ist, also wenn der Stpfl. selbst die unlauteren Mittel angewandt hat (Nr. 2), wenn er die unrichtigen oder unvollständigen Angaben gemacht hat (Nr. 3) oder wenn er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts kannte oder kennen musste (Nr. 4). Das Gleiche gilt bei Handlung oder Kenntnis bzw. Kennenmüssen von Personen, die dem Stpfl. zuzurechnen sind (Vertreter, Beistände). In diesen Fällen überwiegt das Interesse der Allgemeinheit an der Gesetzmäßigkeit und Gleichmäßigkeit der Besteuerung das Interesse des Stpfl. so sehr, dass im Regelfall nur eine Rücknahme in Betracht kommt. Das Ermessen der Finanzbehörde ist in diesen Fällen auf Null reduziert. In diesem Fall brauchen auch keine Ermessenserwägungen angestellt werden, da ein Ermessensspielraum nicht existiert. In diesen Fällen hat die Rücknahme regelmäßig ex tunc zu erfolgen.
Rz. 54
Die Ausübung des Ermessens ist im Rahmen der Tatbestände des Abs. 2 Nr. 2–4 daher nur möglich und erforderlich, wenn bei dem Tatbestand der Nr. 2 die unlauteren Mittel in einer dem Stpfl. nicht zurechenbaren Weise von einem Dritten angewandt wurden, oder wenn im Einzelfall besondere Umstände vorliegen. Solche besonderen Umstände können vorliegen, wenn die Behörde ein – verglichen mit dem Vorsatz des Stpfl. – ins Gewicht fallendes Mitverschulden an dem unrichtigen Verwaltungsakt trifft, oder wenn der Stpfl. leicht fahrlässig oder schuldlos gehandelt hat.
Für den Tatbestand des Abs. 2 Nr. 1 gilt kein intendiertes Ermessen; hier müssen Ermessenserwägungen (vgl. Rz. 52) angestellt werden.
Rz. 55
Bei einigen Verwaltungsakten kommt nach der Natur der Sache nur eine Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit in Betracht, so bei Verwaltungsakten, die keine Dauerwirkung entfalten, sondern deren Wirkungen in einem einmaligen Zeitpunkt in der Vergangenheit liegen. So hat etwa ein Erlass keine Dauerwirkung, sondern führt zu dem einmaligen Akt des Erlöschens der Steuer. Eine Rücknahme nur mit Wirkung für die Zukunft wäre gegenstandslos, da diese Maßnahme das in der Vergangenheit liegende Erlöschen nicht beseitigen könnte. Es kann also nur eine Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit in Betracht kommen; auch eine solche Rücknahme ist aber gegenstandslos, wenn die dadurch wieder auflebende Steuer bereits verjährt ist. Bei Dauerverwaltungsakten ist dagegen auch eine Rücknahme nur mit Wirkung für die Zukunft möglich; bei der Rücknahme einer Stundung würde dies z. B. dazu führen, dass Fälligkeit mit Wirksamwerden der Rücknahme eintritt, während bei der Rücknahme einer Stundung mit rückwirkender Kraft auch die Fälligkeit rückwirkend eintritt (mit der Folge, dass rückwirkend die Stundungszinsen entfallen und Säumniszuschläge entstehen).