Rz. 33
Das als Tatbestandsvoraussetzung für die VZ-Festsetzung erforderliche Verschulden betrifft die Versäumnis der Steuererklärungsfrist. Es liegt vor, wenn der Erklärungspflichtige vorsätzlich oder fahrlässig pflichtwidrig gehandelt hat. Vorsatz erfordert, dass dem Erklärungspflichtigen seine Abgabepflicht und der Abgabetermin bekannt waren und er gleichwohl die Pflicht nicht oder verspätet erfüllt hat. Fahrlässigkeit ist gegeben, wenn der Erklärungspflichtige Pflicht und Termin zwar nicht kannte, aber unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und seiner persönlichen Verhältnisse die ihm zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen hat.
Rz. 34
Dem Gesetz liegt hierbei ein subjektiver Verschuldensbegriff zugrunde, nicht der Verschuldensbegriff des BGB, der auf die allgemeine im Verkehr erforderliche Sorgfalt abstellt. Abzustellen ist vielmehr auf das individuelle Verschulden jedes Erklärungspflichtigen. Insoweit zeigt § 152 AO eine deutliche Parallele zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Bei beiden Vorschriften entfallen bei fehlendem Verschulden die aus der Fristversäumnis entstehenden rechtlichen Nachteile, d. h., faktisch tritt eine rückwirkende Fristverlängerung ein. Für die Prüfung der Verschuldensfrage kann deshalb auf die Grundsätze der Rspr. zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entsprechend zurückgegriffen werden.
Rz. 35
Ein Rechtsirrtum über das Bestehen der Erklärungspflicht und den Abgabetermin, lässt das Verschulden dann entfallen, wenn der Irrtum für ihn unvermeidlich gewesen wäre. Dies kann aber nur in Extremfällen denkbar sein, da der Stpfl. verpflichtet ist, sich über seine Rechtspflichten zu informieren, und ihm dies im Hinblick auf die kostenfreie Auskunftspflicht der Finanzbehörde auch zumutbar ist. Die grundsätzliche Annahme des Verschuldens hindert aber nicht, den glaubhaften Rechtsirrtum im Rahmen der Ermessensentscheidung zu berücksichtigen.
Rz. 36
Ein Irrtum über die Rechtswidrigkeit der Verletzung der Erklärungspflicht entspricht i. d. R. einem vermeidbaren Verbotsirrtum, der die Verletzung nicht entschuldigt. Ein Rückstand der Finanzbehörde bei der Bearbeitung der Steuererklärungen der vorhergehenden VZ oder gar anderer Stpfl. gibt dem Erklärungspflichtigen kein Recht auf eigenmächtige Fristüberschreitung. Der VZ dient nicht nur zur Sicherung des laufenden Veranlagungsjahres, sondern im Hinblick auf die Präventivwirkung (s. Rz. 2) zur Sicherung der Steuerfestsetzung allgemein.
Rz. 37
Bei der Verletzung der ESt-Erklärungspflicht von Ehegatten, die Zusammenveranlagung beantragen, geht BFH v. 9.4.1987, IV R 192/85, BStBl II 1987, 540 von einer einheitlichen Verantwortung beider Ehegatten aus. Hiernach hat jeder Ehegatte an der fristgerechten Herbeiführung der Zusammenveranlagung in gehöriger Form mitzuwirken. Durch wessen Verhalten letztlich die Verletzung der Erklärungspflicht vornehmlich verursacht worden ist, entzieht sich als eheinterner Vorgang der Aufklärungsbefugnis und -pflicht der Finanzbehörde. Vergleichbar mit der Zurechnung des Vertreterverschuldens (s. Rz. 40) hat sich jeder Ehegatte das Verschulden des anderen Ehegatten zurechnen zu lassen.
Rz. 38
Das Versäumnis ist auch nicht dadurch als entschuldbar anzusehen,
- dass die Erstellung von Steuererklärungen aufgrund der besonderen Probleme des Steuerrechts mit gewissen Schwierigkeiten verbunden sein kann. Diese Situation rechtfertigt keineswegs einen großzügigeren Maßstab. Insbesondere ist hierbei zu berücksichtigen, dass sich der Stpfl. rechtzeitig auf die Erfüllung seiner Mitwirkungspflicht im Besteuerungsverfahren einstellen kann, zumal die Finanzbehörden schon generell großzügig Fristverlängerungen gewähren;
- weil das Ergebnis eines Musterprozesses abgewartet werden soll, um eine Klärung der Rechtslage zu bekommen;
- weil individuelle Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Steuernorm trotz bekannter Entscheidung des BVerfG geäußert werden;
- weil individuelle berufliche Sonderbelastungen bei einem Angehörigen der steuerberatenden Berufe vorliegen;
- weil den Verpflichteten eine hohe Arbeitsbelastung trifft, es sei denn, diese war unvorhersehbar und unabwendbar;
- weil Schwierigkeiten der Sachverhaltsermittlung bestehen;
- weil Liquiditätsengpässe die Beauftragung eines Steuerberaters immer erst erlauben, wenn gerade Geld dafür zur Verfügung steht und der notwendige Familienunterhalt nicht gefährdet ist;
- dass die Finanzbehörde die Steuerfestsetzung ihrerseits nicht zeitnah durchführt bzw. durchführen kann;
- wenn bei einem Rechtsirrtum über die Erklärungsfrist diese wissentlich überschritten wird;
- weil Feststellungserklärungen für eine Mitunternehmerschaft noch nicht erstellt sind;
- wenn ein Mitgesellschafter seine notwendige Mitwirkung bei der Erstellung des Jahresabschlusses für die Mitunternehmerschaft verzögert.
Rz. 39
Das Versäumnis wird folglich dann als nicht entschuldbar angesehen werden können, wenn die Steuererklärungen wieder...