Rz. 174

Die Frage, wer den Beweis zu führen hat, ob die Tatbestandsvoraussetzungen der Änderung der Steuerfestsetzung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO vorliegen, ist im Gesetz nicht geregelt. Wegen der Amtsermittlungspflicht[1] kann es im Steuerrecht abgesehen von Sonderregelungen wie § 162 Abs. 3 S. 1 AO keine subjektive Beweislast (Beweisführungslast) geben. Daher haben das FA bzw. das FG von Amts wegen mit zumutbaren Mitteln zu versuchen, den Sachverhalt zu ermitteln.[2] Es bleibt aber die Frage, wie zu entscheiden ist, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen nicht zu ermitteln sind .[3] Für die im Rahmen des § 173 AO anzuwendenden Beweislastregelungen gelten die allgemeinen Grundsätze .[4] Besondere Beweislastregelungen für § 173 AO gibt es nicht. Es gilt daher der Grundsatz, dass Steuergläubiger und Stpfl. bei einer trotz des Untersuchungsgrundsatzes bestehenden Nichterweislichkeit jeweils die objektive Beweislast für die Tatsachen tragen, auf die sie ihr Vorbringen stützen.[5] Das bedeutet, dass die Finanzverwaltung die objektive Beweislast dafür trägt, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen der Änderung zulasten des Stpfl. vorliegen, insbesondere also, dass neue Tatsachen bekannt geworden sind.[6] Es darf daher keine Änderung zulasten des Stpfl. erfolgen, wenn nicht feststeht, dass Tatsachen vorliegen, und dass diese "neu" sind (d. h., im für den ursprünglichen Steuerbescheid maßgebenden Zeitpunkt der entscheidenden Stelle nicht bekannt waren). Hilfstatsachen (Indizien) führen nur dann zu einem vollen Beweis, wenn sie einen sicheren Schluss auf die Haupttatsache zulassen.[7]. Das Beweismaß kann jedoch gemindert sein, wenn den Stpfl. über eine besondere Beweisnähe verfügt und die ihm zumutbare Mitwirkung an der Sachaufklärung verweigert. Dann ist ihm eine Verletzung seiner Mitwirkungspflichten vorzuwerfen[8] Dann können aus dieser Verletzung für den Stpfl. ungünstige (aber noch mögliche) Schlüsse auf das Vorliegen oder Nichtvorliegen von Tatsachen gezogen werden.[9] Es brauchen dann die Voraussetzungen des § 173 AO nicht beweiskräftig festgestellt zu werden; vielmehr genügt eine größtmögliche Wahrscheinlichkeit. Liegen diese Voraussetzungen vor, kann auf das Vorliegen einer "neuen Tatsache" mit größtmöglicher Wahrscheinlichkeit geschlossen werden.[10]

 

Rz. 175

Die objektive Beweislast dafür, dass der Finanzbehörde die Tatsachen bei Änderung zu Lasten des Stpfl. nicht bekannt waren, diese also "neu" waren, liegt damit zwar bei der Finanzbehörde, jedoch ist zu berücksichtigen, dass damit die Finanzverwaltung mit einem Beweis negativer Tatsachen belastet ist. Die Tatsache, dass etwas nicht bekannt war, ist kaum beweisbar. Möglich ist nur, alle Quellen auszuschließen, aus denen das Bekanntsein fließen konnte, und daraus zu schließen, dass die Tatsache nicht bekannt war. Das bedeutet, dass eine Tatsache dann "neu" ist, wenn der Stpfl. sie dem FA nicht mitgeteilt hat und auch sonst keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Finanzbehörde die Tatsache aus anderen Quellen gekannt haben konnte, wie z. B. den Akten, und dass die Tatsachen auch nicht bekannt sein mussten.[11] Dem FA gelten nur die Tatsachen aus der von der entscheidenden Stelle geführten und den jeweiligen Steuerfall betreffenden Akten als bekannt. Der Inhalt anderer Akten, auch wenn von demselben Sachbearbeiter geführt, sowie sonstige Tatsachen gelten nur als bekannt, wenn der Sachbearbeiter davon positiv Kenntnis hatte.[12] Die objektive Beweislast hierfür trägt der Stpfl. Das gilt auch, wenn der zuständige Sachbearbeiter sich nicht mehr erinnern kann; in diesem Fall gelten die Tatsachen als"neu".[13]

 

Rz. 175a

Bei Änderungen zugunsten des Stpfl. gelten entsprechende Grundsätze. In diesem Fall trägt der Stpfl. die objektive Beweislast dafür, dass die Tatsachen "neu" sind, also der Finanzbehörde im maßgebenden Zeitpunkt nicht bekannt waren. Zum Feststellen des "Nicht-bekannt-seins" gelten die Ausführungen in Rz. 175 entsprechend.

 

Rz. 176

Dagegen gehört die Behauptung, das FA habe seine Ermittlungspflicht verletzt, zu den Faktoren, auf die der Stpfl. seine Ablehnung der Änderung stützt. Da er durch diese Behauptung den Änderungsanspruch der Finanzbehörde beseitigen will, trägt er hierfür die (objektive) Beweislast.[14]

Andererseits gehört die Behauptung, der Stpfl. habe seine Mitwirkungspflichten in einer Weise verletzt, die die Verletzung der Ermittlungspflicht seitens des FA überwiegt, zu den Anspruchsbehauptungen der Finanzbehörde, sodass diese insoweit die objektive Beweislast trifft.

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