1 Anwendungsbereich
Rz. 1
Eine Regelung analog zu § 255 AO fand sich bereits in § 202 Abs. 8 RAO, die allerdings weniger differenziert ausgestaltet war, sondern allgemein den Einsatz von Zwangsmitteln gegen Behörden für unzulässig erklärte. Zu beachten ist, dass sich die Einschränkungen, die § 255 AO bei der Vollstreckung gegen juristische Personen des öffentlichen Rechts macht, nur auf die Vollstreckung von Verwaltungsakten gegen diese als Steuerschuldner beziehen. Für die Vollstreckung von finanzgerichtlichen Entscheidungen finden sich in §§ 151ff. FGO Sonderregelungen. Zur Norm vgl. auch Abschn. 18 VollstrA v. 13.3.1980.
2 Beschränkungen der Vollstreckung
Rz. 2
§ 255 AO schränkt die Vollstreckungsmöglichkeiten gegen juristische Personen des öffentlichen Rechts ein. Begründet wird dies damit, dass diese juristischen Personen letztlich nicht wie jeder andere Vollstreckungsschuldner angesehen werden können, da sie auch öffentliche Aufgaben wahrnehmen, deren Durchführung nicht gefährdet werden soll. Zudem ist es als allgemeiner Rechtsgedanke anzusehen, dass Rechtsstreitigkeiten zwischen verschiedenen öffentlichen Stellen möglichst einvernehmlich gelöst werden sollen. Die Beschränkungen sind dabei jedoch nicht einheitlich für alle juristischen Personen ausgestaltet, sondern der Gesetzgeber hat eine Abstufung vorgenommen.
2.1 Vollstreckung gegen den Bund oder ein Land
Rz. 3
Gegen den Bund oder ein Land ist die Vollstreckung nach § 255 Abs. 1 S. 1 AO nicht zulässig. Diese Regelung umfasst nur alle unmittelbaren Bundes- und Landesbehörden. Sie gilt nicht aber für die Gemeinden. Die Vollstreckung gegen einen ausländischen Staat unterliegt grundsätzlich nicht dem Vollstreckungsverbot nach § 255 Abs. 1 AO, doch gibt es völkerrechtliche Beschränkungen der Vollstreckung gegen einen fremden Staat in dessen im Inland belegenes Vermögen. Eine solche darf nur mit Zustimmung des betroffenen Staates erfolgen.
2.2 Sonstige juristische Personen des öffentlichen Rechts
Rz. 4
Gegen sonstige juristische Personen des öffentlichen Rechts (Körperschaften, Anstalten oder Stiftungen), die der Staatsaufsicht unterliegen, ist die Vollstreckung zwar zulässig, doch werden Einschränkungen normiert. § 255 Abs. 1 S. 2 AO bestimmt insofern, dass eine Vollstreckung nur mit Zustimmung der jeweiligen Aufsichtsbehörde zulässig ist. Die Aufsichtsbehörde kann dabei nach § 255 Abs. 1 S. 3 AO den Zeitpunkt und die Art der Vollstreckung bestimmen, da diese Körperschaften im öffentlichen Interesse tätig sind und ihre Funktionsfähigkeit erhalten bleiben soll.
Rz. 5
Anwendbar ist § 255 Abs. 1 S. 2 AO etwa auf Gemeinden, Gemeindeverbände, Sozialversicherungsträger, Handels- und Handwerkskammern, Universitäten und Hochschulen sowie Rechtsanwalts-, Wirtschaftsprüfer- und Steuerberaterkammern. Keinen besonderen Vollstreckungsschutz genießen nach der Umwandlung in privatrechtliche Gesellschaften hingegen die ehemaligen Staatsbetriebe. So sind die Deutsche Post AG, Deutsche Telekom AG und Postbank AG wie jeder andere Vollstreckungsschuldner zu behandeln. Gleiches gilt für die Deutsche Bahn AG nach deren Privatisierung. Auch Betriebe gewerblicher Art von juristischen Personen des öffentlichen Rechts fallen nicht in den Anwendungsbereich des § 255 AO.
Rz. 6
Ferner nicht unter den Anwendungsbereich des § 255 Abs. 1 S. 2 fallen die katholische und die evangelische Kirche. Diese sind zwar als Körperschaften des öffentlichen Rechts organisiert, doch unterliegen die Kirchen nach Art. 137 WRV i. V. m. Art. 140 GG ausdrücklich nicht der Staatsaufsicht.
Rz. 7
Wird trotz fehlender Zustimmung der Aufsichtsbehörde gegen eine juristische Person des öffentlichen Rechts vollstreckt, stellt dies einen Verstoß gegen § 255 AO dar. In einem solchen Fall ist die Vollstreckungsmaßnahme zwar anfechtbar, aber nicht nichtig.