Rz. 79
Ein Versuch kann immer nur dann gegeben sein, wenn eine gewollte Tat begonnen, aber unvollendet geblieben ist, also der Taterfolg (vgl. Rz. 18, 52) nicht eingetreten ist. Dabei ist auch ein Versuch durch Unterlassen möglich.
Der subjektive Tatbestand des jeweiligen Delikts muss erfüllt sein. Folglich muss der endgültige Tatentschluss (= Vorsatz) gegeben sein, sodass die Vorstellung des Täters von der Tat maßgeblich ist. Nach dem Wortlaut des § 22 StGB ist die Tat begonnen mit dem unmittelbaren Ansetzen zur Verwirklichung des Tatbestands. Entscheidend ist dabei die Vorstellung des Täters. Der Täter muss die Entscheidung über das "Ob" der Tat getroffen haben, da es sich sonst lediglich um eine sog. Tatgeneigtheit handelt, wenn der Täter noch überlegt, ob er versuchen will, Steuern zu hinterziehen, oder nicht. Allein der Tatentschluss, z. B. die Absicht, bestimmte Geschäftsvorfälle nicht der Besteuerung zu unterwerfen, ist aber noch nicht strafrechtlich relevant.
Rz. 80
Der objektive Tatbestand muss gem. § 22 StGB zumindest so weit verwirklicht sein, dass der Täter nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestands unmittelbar angesetzt hat. Aus dieser Formulierung ergibt sich, dass auch insoweit die Vorstellung des Täters maßgeblich ist. Somit reicht es aus, wenn er der Ansicht ist, unmittelbar angesetzt zu haben.
Der Täter hat i. S. d. § 22 StGB unmittelbar zur Tat angesetzt, wenn seine Handlungen nach seiner Vorstellung bei ungestörtem Fortgang unmittelbar und ohne weitere wesentliche Zwischenakte zur Tatbestandsverwirklichung führen sollen oder sie in unmittelbarem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit der Tatbestandsverwirklichung stehen, das geschützte Rechtsgut somit unmittelbar gefährden. Ein unmittelbares Ansetzen zur Tat liegt somit frühestens mit dem Beginn von Ausführungshandlungen vor, durch die das geschützte Rechtsgut bereits in diesem Zeitpunkt gefährdet ist, ohne dass weitere Geschehensabläufe dazwischengeschaltet sind.
Da es im Rahmen des Versuchs maßgeblich ist, ob der Täter nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestands unmittelbar angesetzt hat, reicht es aus, wenn er der Ansicht ist, unmittelbar angesetzt zu haben. Deshalb kann es auch in den Fällen, in denen eine Tatbestandsverwirklichung objektiv gar nicht möglich ist, der Täter jedoch über das Bestehen oder die Reichweite einer strafrechtlichen Norm irrt und somit meint, eine Rechtsverletzung zu begehen, die es so, wie von ihm vorgestellt, nicht gibt, zu einer Strafbarkeit wegen versuchter Steuerhinterziehung kommen.
Rz. 81
Die Abgrenzung zum Bereich der straflosen Vorbereitungshandlungen ist oft schwierig. Typische Beispiele für im Hinblick auf eine Steuerhinterziehung (straflose) Vorbereitungshandlungen sind:
- die Einreichung falscher Urkunden bei der Finanzbehörde, um eine Steuernummer zu erhalten,
- die Absprachen mit Lieferanten oder Kunden über den Austausch unrichtiger Rechnungen,
- die Nichtbuchung aufzeichnungspflichtiger Geschäftsvorfälle in der Absicht, diese nicht der Besteuerung zu unterwerfen,
- die unrichtige Buchung privater Vorgänge als Betriebsausgaben,
- die Einführung gefälschter Belege in die Buchführung,
- die Erstellung des falschen Zahlenwerks für die Erklärung,
- das Ausfüllen der unzutreffenden Steuererklärung,
- die Verletzung der Aufbewahrungspflichten gem. § 147 AO für Buchführungsunterlagen und ggf. deren Vernichtung,
- sowie die Nichteinbehaltung von Steuerabzugsbeträgen.
Ein unmittelbares Ansetzen und die damit zusammenhängende Gefährdung des Rechtsguts sind in diesen Fällen erst gegeben, wenn die entsprechend ausgewerteten Daten der Finanzbehörde zugehen.