Dr. Karsten Webel, Dr. Wolfgang Dumke †
Rz. 129
Vorsatz erfordert die wissentliche Tatbestandsverwirklichung (s. Rz. 124). Fehlt dieses Wissenselement, so handelt der Tatbeteiligte in Unkenntnis der gesetzlichen Tatbestandsmerkmale. Er befindet sich dann in einem Tatbestandsirrtum, der nach § 16 StGB einen Ausschluss des Vorsatzes zur Folge hat. Ein solcher Tatbestandsirrtum liegt vor, wenn der Tatbeteiligte aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht erkennt, dass seine Angaben unrichtig oder unvollständig sind oder ein Verkürzungserfolg eintreten kann.
Rz. 129a
Ist dem Tatbeteiligten die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der Angaben (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO; Rz. 44, 45) nicht bewusst, so fehlt es ihm insoweit an einem Vorsatz.
Rz. 130
Befindet sich der Tatbeteiligte in einem Irrtum über den Inhalt der steuerrechtlichen Regelung und nimmt er an, dass die von ihm vorgenommene steuerliche Behandlung korrekt war, so befindet er sich in einem Tatbestandsirrtum. Ist dem Täter die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit seiner Angaben (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO; Rz. 44, 45) nicht bewusst, so fehlt es ihm insoweit an einem Vorsatz. Hat der Tatbeteiligte dagegen das Bewusstsein der steuerlichen Relevanz der Einnahmen oder ist davon auszugehen, dass er dieses Bewusstsein aufgrund seiner individuellen Fähigkeiten und Vorbildung entwickeln konnte (s. Rz. 125), ist ein Tatbestandsirrtum zu verneinen. Außerdem ist ein steuerlich und rechtlich nicht beratener Tatbeteiligter verpflichtet, sich in Zweifelsfällen zu erkundigen und fachliche Informationen einzuholen, insbesondere bei einem wichtigen möglicherweise steuerrechtlich relevanten Vorgang. Anderenfalls ist dem Tatbeteiligten Gleichgültigkeit und damit auch ein bedingter Vorsatz (s. Rz. 124) vorzuwerfen.
Rz. 131
Befindet sich der Täter in einem Irrtum über die Pflicht zum Handeln, nimmt er also an, dass eine gesetzliche Handlungspflicht (s. Rz. 54) nicht besteht, und begeht demgemäß eine pflichtwidrige Unterlassung i. S. v. § 370 Abs. 1 Nr. 2 oder 3 AO, so ist ebenfalls ein Tatbestandsirrtum gegeben, der den Vorsatz ausschließt. Bei pflichtwidrigem Unterlassen der Anzeige nach § 153 Abs. 2 AO (Rz. 62) darf davon ausgegangen werden, dass die Kenntnis von der Anzeigepflicht allgemein besteht, wenn die Voraussetzungen für die gewährte Steuervergünstigung weggefallen sind.
Nimmt der Tatbeteiligte umgekehrt das Bestehen einer – rechtlich nicht vorhandenen – Pflicht an, so begeht er einen strafbaren untauglichen Versuch der Steuerhinterziehung (Rz. 136) und kein strafloses Wahndelikt.