Rz. 13
Gesetze im formellen Sinn sind die wichtigsten Rechtsquellen und Rechtsnormen des Steuerrechts. Sie erfordern ein Zustandekommen in einem förmlichen Gesetzgebungsverfahren. Voraussetzung ist zunächst das Bestehen einer Gesetzgebungskompetenz. Das Verfahren ist für Bundesgesetze in Art. 76- 82, 82 GG, für Landesgesetze in den Landesverfassungen vorgeschrieben. Die vom Bundesgesetzgeber erlassenen Steuergesetze bedürfen regelmäßig der Zustimmung des Bundesrats. Die Gesetze müssen ausgefertigt und im BGBl bzw. dem Gesetzblatt des Landes verkündet worden sein. Zum Inkrafttreten und Außerkrafttreten vgl. Rz. 76.
Rz. 14
Steuergesetze sind Gesetze, die die Steuern oder das Verfahren im Zusammenhang mit Steuern regeln. Dazu gehören die AO, das FVG, das BewG und die Einzelsteuergesetze sowie die zu ihnen ergangenen Rechtsverordnungen. Die Anwendbarkeit von AO-Vorschriften im Bereich einzelner anderer Gesetze macht diese Gesetze nicht zu Steuergesetzen.
Rz. 15
Alle wichtigen und grundlegenden steuerrechtlichen Vorschriften sind Steuergesetze im formellen Sinn. Die Grundsätze der Gleichmäßigkeit und der Gesetzmäßigkeit (Tatbestandsmäßigkeit) der Besteuerung, das Prinzip der ertragsteuerlichen Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit und das vom Gleichheitssatz beeinflusste Willkürverbot verlangen, dass der steuerliche Belastungstatbestand (Steuerschuldner, Steuergegenstand, Bemessungsgrundlage und Steuersatz) in einem förmlichen Gesetz festgelegt wird. Rechtsverordnungen können daher nur die weitere Ausgestaltung betreffende Detailregelungen regeln.
Rz. 16
§ 4 AO kann als Vorschrift des einfachen Gesetzesrechts nur insoweit Geltung beanspruchen, als eine "Rechtsnorm" mit ranghöherem Recht vereinbar ist. Bei verfassungskonformer Auslegung muss sich der Regelungsbefehl dieser Vorschrift wegen des Vorrangs der Verfassung sowie des Vorrangs des Unionsrechts (Rz. 9) auf solche Rechtsnormen beschränken, die ihrerseits recht- und verfassungsgemäß sind.
Rz. 17
Für ein formell ordnungsgemäß zustande gekommenes Gesetz besteht allerdings eine Vermutung der Verfassungsmäßigkeit. Die Verwaltung ist daher nicht befugt, eine Vorschrift als nicht verfassungsgemäß zu verwerfen. Ob die Verwaltung ein als verfassungswidrig erkanntes förmliches Gesetz außer Anwendung lässt, ist unsicher. Für sie besteht insoweit stets die Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung. Möglich ist auch der Versuch, durch die Bundesregierung oder eine Landesregierung ein Verfahren nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG vor dem BVerfG zu veranlassen. Für untergesetzliche Normen dürfte hingegen bei Verstoß gegen höherrangiges Recht eine Nichtanwendungspflicht für die Verwaltung bestehen.
Rz. 18
Auch Gerichte dürfen sich kraft ihrer Bindung aus Art. 20 Abs. 3 GG nicht über förmliche Gesetze hinwegsetzen. Ein aus der Sicht des Gerichts gegen das GG verstoßendes förmliches (nachkonstitutionelles) Gesetz ist gem. Art. 100 Abs. 1 GG dem BVerfG vorzulegen. Hingegen ist eine untergesetzliche Norm (z. B. Rechtsverordnung) bei einem Verstoß gegen höherrangiges Recht vom Gericht als unanwendbar zu verwerfen. Das BVerfG entscheidet über die Verfassungsmäßigkeit einer Vorschrift auch bei einer Verfassungsbeschwerde, die jedermann – i. d. R. nach Erschöpfung des normalen Rechtswegs – mit der Behauptung erheben kann, durch die öffentliche Gewalt in seinen verfassungsmäßigen Rechten verletzt zu sein.