Rz. 23

Ein Verpflichtungsurteil nach § 101 S. 1 FGO setzt voraus, dass die Sache spruchreif ist. Spruchreife bedeutet, dass nach der für den Streitfall maßgeblichen Sach- und Rechtslage der Anspruch auf den Erlass des begehrten Verwaltungsakts besteht.[1] Das Gericht muss nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens davon überzeugt sein[2], dass der Kläger einen Rechtsanspruch auf Erlass des beantragten Verwaltungsakts hat.[3] Dies kann bei gebundenen Verwaltungsakten oder auch im Fall der Ermessensreduzierung auf Null gegeben sein.[4] Das Verpflichtungsurteil setzt voraus, dass das Gericht vom Vorliegen der dazu erforderlichen Tatsachen überzeugt ist.

 

Rz. 24

Die Ermittlung des entscheidungserheblichen Sachverhalts, d. h. die Herstellung der Spruchreife, ist grds. Aufgabe des Gerichts. Denn § 76 Abs. 1 S. 1 FGO, wonach das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen erforscht, gilt auch für das Verfahren der Verpflichtungsklage. Im Rahmen einer Verpflichtungsklage ist danach zu unterscheiden, ob der Kläger einen rechtlich gebundenen Verwaltungsakt begehrt oder ob der Behörde ein Ermessensspielraum beim Erlass des Verwaltungsakts zusteht.[5]

 

Rz. 25

Bei rechtlich gebundenen Verwaltungsakten – wie etwa bei der Gewährung von Kindergeld – ist das Gericht nach geänderter Rechtsprechung des BFH verpflichtet, auch von der Verwaltung bisher nicht geprüfte Sachverhalte aufzuklären, um die Spruchreife herzustellen.[6] Soweit in einer späteren Entscheidung des BFH für die gegenteilige Auffassung noch auf die frühere Rspr. Bezug genommen wird[7], scheint die Änderung der Rechtsprechung nicht berücksichtigt worden zu sein. Eine Einschränkung der Amtsaufklärungspflicht in der Weise, dass das Gericht nicht das gesamte Verwaltungsverfahren auch bei rechtlich gebundenen Verwaltungsakten durchzuführen braucht[8], lässt sich dem Gesetz nicht entnehmen.[9] Ggf. ist unter dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit der Amtsaufklärung unter Berücksichtigung der Mitwirkungspflichten der Beteiligten die Amtsaufklärungspflicht begrenzt.[10] Soweit die Gegenmeinung[11] darauf abstellt, dass das Gericht wegen des Gewaltenteilungsgrundsatzes nur das bisher Geschehene oder Unterlassene auf seine Rechtmäßigkeit zu prüfen habe, ist dem bei rechtlich gebundenen Verwaltungsakten nicht zu folgen. Denn wenn die Voraussetzungen des rechtlich gebundenen Verwaltungsakts vorliegen, ist die Ablehnung des Erlasses des begehrten Verwaltungsakts rechtswidrig, unabhängig davon, aus welchen Gründen die Ablehnung erfolgte. I. d. S. ist das Gericht dann zur Rechtsschutzgewährung verpflichtet und greift nicht unzulässig in die Kompetenzen der Verwaltung ein. Allerdings verweist auch die Gegenmeinung darauf, dass das Gericht aus prozessökonomischen Gründen weitere Sachverhaltsaufklärung betreiben kann.[12]

 

Rz. 26

Anders ist dies bei Verwaltungsakten, bei deren Erlass die Behörde einen Ermessensspielraum hat und es für die Frage der Rechtmäßigkeit gerade darauf ankommt, ob ein Ermessensfehler vorliegt. In diesen Fällen hat das Gericht nur die Pflicht (auf der Rechtsfolgenseite der Norm), den Sachverhalt bis zur Entscheidungsreife für den Erlass eines Bescheidungsurteils aufzuklären.[13]

 

Rz. 27

In welchem Umfang das Gericht Sachverhaltsermittlungen zur Herstellung der Spruchreife anstellt, liegt in seinem pflichtgemäßen Ermessen. Es hat dabei die Interessen der Beteiligten und die Grundsätze der Prozessökonomie zu beachten. Insbesondere ist zu berücksichtigen, in welchem Umfang die Beteiligten ihrerseits ihren Mitwirkungspflichten zur Aufklärung des Sachverhalts bereits nachgekommen sind. Die Sachverhaltsermittlung durch das Gericht wird durch seine Kompetenz begrenzt. Sachverhalte, deren Feststellung anderen Behörden kraft Gesetzes zugewiesen sind, sind der Ermittlung durch das Gericht entzogen. Zur Amtsermittlung s. Erl. zu § 76 FGO.

 

Rz. 28

Für die Frage, ob § 100 Abs. 3 FGO im Rahmen der Verpflichtungsklage anwendbar ist, ist m. E. danach zu unterscheiden, ob der Kläger einen rechtlich gebundenen Verwaltungsakt begehrt oder der Behörde ein Ermessensspielraum zusteht. Für eine Anwendung des § 100 Abs. 3 FGO gerade bei rechtlich gebundenen Verwaltungsakten spricht, dass damit dem Rechtsschutzbegehren des Klägers besser Genüge getan werden kann.[14] Dies gilt z. B. bei der Gewährung von Kindergeld, weil die Familienkasse sachnäher Familienleistungen im Ausland prüfen kann, wenn sie vorher die beantragte Festsetzung des Kindergelds aus anderen Gründen abgelehnt hat und sich diese Gründe im gerichtlichen Verfahren als nicht tragfähig erweisen, wobei aber die zeitliche Grenze des § 100 Abs. 3 S. 5 FGO zu beachten ist. Soweit die Gegenmeinung[15] die Anwendung des § 100 Abs. 3 FGO deshalb ablehnt, weil diese Vorschrift dem Rechtsschutzbegehren einer Verpflichtungsklage nicht entspreche, ist dies für rechtlich gebundene Verwaltungsakte daher nicht überzeugend. Anders ist dies, wenn infrage steht, ob die Behörde (auf der Rechtsfolgenseite) ihren Ermessensspielraum ordnungsgemäß genutzt hat. ...

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