Rz. 31
Erkenntnisse, die das FG nicht durch tatsächliche Feststellungen in vertretbarer und nachvollziehbarer Weise belegt, stellen keine bindende Tatsachenwürdigung dar. Die Bindung des BFH an die in dem angefochtenen FG-Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen bedeutet, dass der BFH den festgestellten Sachverhalt grundsätzlich nicht ergänzen. und seine Würdigung des Sachverhalts nicht an die Stelle derjenigen des FG setzen darf. Dabei reicht es aus, dass die Tatsachenfeststellung und -würdigung, d. h. die Schlussfolgerung aus den festgestellten Tatsachen, durch das FG nur möglich ist, sofern sie nicht gegen die Verfahrensordnung, gegen die Denkgesetze oder gegen allgemeine Erfahrungssätze verstößt; sie muss nicht zwingend sein, d. h., es ist unerheblich, dass ggf. eine andere Schlussfolgerung ebenfalls möglich (und zutreffend) gewesen wäre.
Der BFH kann daher z. B. nicht eine im oberen Schätzungsrahmen liegende und damit mögliche Schätzung des FG durch eine dem mittleren oder unteren Bereich entsprechende Schätzung ersetzen. Ebenso wäre es dem BFH verwehrt, eine vom FG vertretbar begründete betriebliche Veranlassung aufgrund eigenständiger Würdigung zu verneinen.
Eine zwar mögliche, aber ungewöhnliche Schlussfolgerung ist allerdings nur dann bindend, wenn die Tatsachen und die daraus abgeleiteten Folgerungen vom FG detailliert nachvollziehbar dargestellt sind. Die Gesamtwürdigung des FG darf nicht in Widerspruch zu Einzelfeststellungen des FG stehen. In diesem Fall ist die Gesamtwürdigung materiell fehlerhaft und kann den BFH nicht binden.
Das FG unterliegt bei der Gewichtung der entscheidungserheblichen Tatsachen und Beweisergebnisse keinen starren Regeln. Es darf aber nicht willkürlich verfahren. Es muss die subjektiv gebildete Überzeugung objektivieren. Seine Würdigung muss von den Feststellungen getragen werden. Das FG hat daher im Einzelnen die Tatsachen darzulegen, aus denen es seine Würdigung ableitet und seine Überzeugung gewonnen hat. Nicht ausreichend ist daher z. B. die bloße Feststellung, ein Zeuge habe etwas glaubhaft bestätigt, insbes. dann nicht, wenn der Zeuge befangen sein könnte. Das FG hat vielmehr die Gründe für seine Überzeugung über die Glaubhaftigkeit der Aussage darzustellen. Dazu reichen bloße Mutmaßungen nicht aus. Lassen sich die Annahmen des FG aus den konkret festgestellten Tatsachen nicht ableiten, fehlt es an einer tragfähigen Tatsachengrundlage. Darin liegt ein materieller Rechtsfehler, den der BFH auch ohne Rüge von Amts wegen zu beachten hat.
Hat der BFH Grundsätze zur Auswahl und Gewichtung von Beweismitteln aufgestellt, z. B. zu den Anforderungen an den Nachweis von Unterhaltszahlungen an im Ausland lebende, unterstützungsbedürftige Angehörige, gehört die Entscheidung, welche Anforderungen an den Nachweis zu stellen sind und welche Beweismittel der Stpfl. zu beschaffen hat, zur Rechtsanwendung und kann daher vom BFH überprüft werden.
Rz. 32
Nach Abs. 2 entfällt die Bindung an die Tatsachenfeststellungen immer dann, wenn in Bezug auf die festgestellten Tatsachen Verfahrensrügen durchgreifen.
Rz. 33
Hat das FG keine oder keine ausreichenden Tatsachenfeststellungen getroffen, um den Rechtsstreit entscheiden zu können, ist es dem BFH verwehrt, eigene Feststellungen zu treffen. Das FG-Urteil ist dann aufzuheben und die Sache zur Nachholung der Feststellungen an das FG zurückzuverweisen. Dies gilt auch dann, wenn die Tatsachen sich aus übereinstimmenden Erklärungen der Beteiligten ergeben, d. h. unstreitig sind, sowie für offenkundige Tatsachen.
Der BFH berücksichtigt gelegentlich aus den Akten ersichtliche unstreitige Tatsachen. Dies muss auf ganz klar liegende Ausnahmefälle beschränkt bleiben, in denen jeder vernünftige Zweifel am Vorliegen der beiderseits vorgebrachten Tatsache ausgeschlossen ist (Rz. 42).
Rz. 34
Aus Gründen der Prozessökonomie wird der Grundsatz der Bindungswirkung in mehrfacher Hinsicht durchbrochen.