Rz. 11
Daneben ist das sog. allgemeine Rechtsschutzbedürfnis ungeschriebene Sachentscheidungsvoraussetzung für jede Rechtsverfolgung vor den Gerichten. Das Rechtsschutzbedürfnis ist daher nicht nur für Klageverfahren vor den FG, sondern gleichermaßen für Rechtsmittelverfahren vor dem BFH erforderlich. Ebenso für die Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes sowie den sonstigen (un-)selbständigen Nebenverfahren. Das anfängliche Fehlen eines Rechtsschutzbedürfnisses oder dessen späterer Wegfall bewirkt die Unzulässigkeit der begehrten gerichtlichen Entscheidung.
Das Rechtsschutzbedürfnis hat die Funktion zu verhindern, dass Gegner und Gericht ohne ausreichendes Interesse an gerichtlichem Rechtsschutz durch ein Verfahren belastet werden. Denn dem Erfordernis des Rechtsschutzbedürfnisses liegt der Gedanke zugrunde, dass niemand die Gerichte als Teil der Staatsgewalt unnütz oder gar unlauter bemühen oder ein gesetzlich vorgesehenes Verfahren zur Verfolgung zweckwidriger und insoweit nicht schutzwürdiger Ziele ausnützen darf. Es beruht auf dem Grundgedanken, dass das Gericht vor einer Arbeitsbelastung geschützt werden soll, die nicht zum Schutz subjektiver Rechte nötig ist oder diesem Zweck jedenfalls nicht dienstbar gemacht wird.
Rz. 12
Daher fehlt das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis insbesondere bei der Verfolgung rechtsmissbräuchlicher Ziele. Einem Stpfl. fehlt z. B. jedes Rechtsschutzinteresse, wenn seine als Klage deklarierten Schriftsätze außer Schmähungen, rechtsfeindlichen und staatsfeindlichen, abwegigen politischen Verlautbarungen und einer groben Verunglimpfung des angerufenen Gerichts keinerlei sachliches Vorbringen enthalten und damit den an eine Klage zu stellenden Mindestanforderungen nicht genügen oder der Stpfl. das von ihm angerufene Gericht für nicht legitimiert hält bzw. die bundesrepublikanische Rechtsordnung und damit auch die Existenz der von ihm angerufenen Justiz in Zweifel zieht und sein Rechtsschutzziel nicht ausreichend dargelegt hat.
Rz. 13
Der Kläger muss daher im Ergebnis ein schutzwürdiges Interesse an dem begehrten Urteil haben. Daran fehlt es, wenn
- der Kläger das erstrebte Ziel bereits erreicht hat,
- aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht mehr erreichen kann, oder
- die Klage für das Erreichen des Rechtsschutzziels überhaupt nicht erforderlich ist,
- bzw. auf einem verfahrensmäßig einfacheren und/oder schnelleren Weg erreicht werden kann.
Daher fehlt z. B. einem auf § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO gestützten Antrag der Finanzbehörde auf Aufhebung der gerichtlich für die Dauer des Einspruchsverfahrens angeordneten Aussetzung der Vollziehung das Rechtsschutzbedürfnis, wenn der Einspruch entscheidungsreif ist und die Finanzbehörde die Aussetzung der Vollziehung auch ohne Anrufung des Gerichts schneller und einfacher durch Erlass der Einspruchsentscheidung beenden könnte.
Folgerichtig fehlt das Rechtsschutzbedürfnis auch, wenn die beklagte Finanzbehörde dem Antrag des Klägers in vollem Umfang stattgibt bzw. in der mündlichen Verhandlung vor dem FG den Erlass eines dem Klagebegehren entsprechenden Änderungsbescheids zusagt und die Hauptsache für erledigt erklärt, der Kläger aber trotz dessen das Verfahren weiterbetreibt. Dasselbe gilt, wenn der Kläger nach seiner wirksamen Klagerücknahme dennoch sein ursprüngliches Klagebegehren weiterverfolgt.
Hat sich der angefochtene Verwaltungsakt vor der Entscheidung durch das FG erledigt, entfällt ebenfalls das Rechtsschutzbedürfnis. Allerdings kann der Kläger in diesen Fällen ggf. eine Fortsetzungsfeststellungsklage i. S. des § 100 Abs. 1 S. 4 FGO erheben mit dem Ziel festzustellen, dass der erledigte Verwaltungsakt rechtswidrig war. Ein Bedürfnis, abstrakte Rechtsfragen zu klären, genügt allerdings nicht.
Im Falle gewichtiger (schwerer) Grundrechtseingriffe gebietet es die Rechtsschutzgarantie allerdings, die Berechtigung dieses Eingriffs auch dann gerichtlich klären lassen zu können, wenn der Eingriff tatsächlich nicht mehr fortwirkt; sog. Fortbestand des Rechtsschutzinteresses.
Rz. 14
Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH fehlt auch dann einer Klage in der Regel das Rechtsschutzbedürfnis, wenn der angefochtene Steuerbescheid zu einem verfassungsrechtlichen Streitpunkt vorläufig ergangen ist, diese verfassungsrechtliche Streitfrage sich in einer Vielzahl im Wesentlichen gleichgelagerter Verfahren stellt und bereits ein nicht von vornherein aussichtsloses Musterverfahren beim BVerfG anhängig ist. Liegen diese Voraussetzungen vor, muss ein Stpfl. die Klärung der Streitfrage in dem Musterverfahren abwarten, ohne dadurch unzumutbare Rechtsnachteile zu erleiden. Eine weitere verfassungsrechtliche Klärung in eigener Sache kann der Stpfl. ggf. später durch Rechtsbehelfe gegen die vom FA nach § 165 Abs. 2 S. 2 AO zu treffende Entscheidung herbeiführen, wenn ihm nach Ausgang des Musterverfahrens die Streitfrage nicht ausreichend beantwortet erscheint. Der Stpfl. erleidet ...