Rz. 297
Nach Art. 184 MwStSystRL ist der ursprüngliche Vorsteuerabzug zu berichtigen, wenn er höher oder niedriger ist als der, zu dessen Vornahme der Unternehmer berechtigt war. Nach Art. 185 Abs. 1 MwStSystRL besteht diese Verpflichtung insbesondere dann, wenn sich die Faktoren, die bei der Bestimmung des Vorsteuerabzugsbetrags berücksichtigt werden, nach Abgabe der Mehrwertsteuererklärung ändern. In Art. 185 Abs. 2 MwStSystRL werden die Fälle aufgezählt, in denen die Berichtigung abweichend davon unterbleibt. Zur Vorsteuerberichtigungspflicht ungeachtet einer Berichtigung auf der Ausgangsseite vgl. EuGH v. 28.5.2020.
Art. 184 und 185 MwStSystRL untersagen es nicht, einem Unternehmer, der es versäumt hat, vor Ablauf der vom nationalen Recht vorgesehenen Ausschlussfrist das Recht auf Abzug der Vorsteuer für den Erwerb eines Gegenstands oder einer Dienstleistung auszuüben, die Möglichkeit zu verwehren, diesen Abzug später bei der ersten Verwendung des Gegenstands oder der Dienstleistung zum Zweck besteuerter Umsätze im Wege einer Berichtigung vorzunehmen, und zwar auch dann, wenn weder ein Rechtsmissbrauch noch ein Betrug, noch ein Steuerausfall festgestellt wurden. Nach Art. 185 Abs. 1 MwStSystRL stellt die Aussonderung eines nach Ansicht des Steuerpflichtigen im Rahmen seiner gewöhnlichen wirtschaftlichen Tätigkeiten unbrauchbar gewordenen Gegenstands, gefolgt vom mehrwertsteuerpflichtigen Verkauf dieses Gegenstands als Abfall, keine "Änderung der Faktoren, die bei der Bestimmung des Vorsteuerabzugsbetrags berücksichtigt werden" i. S. d. Bestimmung dar. Nach Art. 185 MwStSystRL stellt die Aussonderung eines nach Ansicht des Steuerpflichtigen im Rahmen seiner gewöhnlichen wirtschaftlichen Tätigkeiten unbrauchbar gewordenen Gegenstands, gefolgt von der vorsätzlichen Zerstörung dieses Gegenstands, eine "Änderung der Faktoren, die bei der Bestimmung des Vorsteuerabzugsbetrags berücksichtigt werden", i. S. v. Abs. 1 der Vorschrift dar. Allerdings stellt eine solche Situation unabhängig von ihrem vorsätzlichen Charakter eine "Zerstörung" i. S. v. Abs. 2 Unterabs. 1 der Vorschrift dar, sodass diese Änderung keine Berichtigungspflicht nach sich zieht, sofern diese Zerstörung ordnungsgemäß nachgewiesen oder belegt ist und der Gegenstand objektiv jeden Nutzen im Rahmen der wirtschaftlichen Tätigkeiten des Steuerpflichtigen verloren hatte.
Nach Art. 186 MwStSystRL legen die Mitgliedstaaten die Einzelheiten für die Anwendung ihrer Art. 184 und 185 fest. In den Art. 184 und 185 MwStSystRL wird somit eine darin zugleich veranschaulichte und begrenzte Verpflichtung zur Berichtigung zu Unrecht vorgenommener Vorsteuerabzüge aufgestellt. Sie sehen jedoch nicht vor, wie diese Berichtigung zu erfolgen hat. Vielmehr überlässt Art. 186 MwStSystRL es ausdrücklich den Mitgliedstaaten, die Voraussetzungen für die Berichtigung festzulegen. Nur für den Sonderfall der Investitionsgüter sehen die Art. 187 bis 189 MwStSystRL bestimmte Einzelheiten für die Berichtigung des Vorsteuerabzugs vor. Daraus folgt, dass die in Art. 184 MwStSystRL geregelte Pflicht zur Berichtigung zu Unrecht vorgenommener Vorsteuerabzüge auch dann besteht, wenn der ursprüngliche Vorsteuerabzug überhaupt nicht hätte erfolgen dürfen, weil der ihm zugrunde liegende Umsatz steuerbefreit war. Dagegen sind die Art. 187 bis 189 MwStSystRL dahin auszulegen, dass der darin vorgesehene Mechanismus zur Berichtigung zu Unrecht vorgenommener Vorsteuerabzüge in solchen Fällen nicht anwendbar ist, insbesondere dann, wenn der ursprüngliche Vorsteuerabzug nicht gerechtfertigt war, weil es sich um eine steuerbefreite Lieferung von Grundstücken handelte. Sie können daher nicht zur Berichtigung des Vorsteuerabzugs herangezogen werden, wenn von Anfang an kein Abzugsrecht bestand.
Die Art. 184 bis 187 MwStSystRL stehen nicht nationalen Rechtsvorschriften entgegen, die eine für Investitionsgüter geltende Berichtigungsregelung enthalten, in der die Berichtigung über mehrere Jahre vorgesehen ist und nach der der gesamte ursprünglich vorgenommene Vorsteuerabzug für das betreffende Investitionsgut während des ersten Jahres von dessen Verwendung, was auch dem ersten Jahr der Berichtigung entspricht, auf einmal berichtigt wird, wenn sich bei der erstmaligen Verwendung erweist, dass der Vorsteuerabzug nicht in der entsprechenden Höhe hätte vorgenommen werden dürfen. Somit muss eine pro-rata-temporis-Vorsteuerberichtigung nicht bei einer Änderung der Verhältnisse im Vergleich zu der ursprünglich beabsichtigten Nutzung eines Gebäudes angewendet werden, wenn sich die Nutzungsverhältnisse bereits im Zeitpunkt der erstmaligen Verwendung des Gebäudes geändert haben.
Rz. 298
Art. 184ff. MwStSystRL regeln die Berichtigung des Vorsteuerabzugs, die grundsätzlich von den Verhältnissen zum Zeitpunkt der erstmaligen Ausübung des Vorsteuerabzugs auszugehen hat. Danach ist ein Vorsteuerabzug nicht zulässig, wenn der Steuerpflichtige den Gegenstand erst später seinem Unternehmen zuführt und zu u...