Dipl.-Finw. (FH) Wilfried Mannek
Rz. 158
Die Frage, ob das Verfahren zur Ableitung des gemeinen Werts von Aktien und Anteilen an Kapitalgesellschaften auch dann angewandt werden darf, wenn nicht mehrere Verkäufe, sondern nur ein einziger Verkauf in der maßgebenden Zeit vorliegt, war bis zum Ergehen des BFH-Urteils vom 5.3.1986 nicht eindeutig geklärt. Der RFH hat die Auffassung vertreten, dass sich der gemeine Wert nur aus einer Mehrzahl von Verkäufen ableiten lasse und ein einziger Verkauf grundsätzlich nicht genüge. Der III. Senat des BFH hat dagegen in der Entscheidung vom 25.6.1965 den Rechtsstandpunkt eingenommen, auch ein einziger Verkauf könne Grundlage für die Bewertung von Anteilen an einer GmbH sein. In diesem Streitfall hatten die beiden Gesellschafter der GmbH sämtliche Geschäftsanteile "auf einmal" verkauft. Der Entscheidung vom 14.10.1966 stellte der III. Senat des BFH den Leitsatz auf, dass es sich für die Ableitung des gemeinen Werts aus Verkäufen um mehrere Verkäufe im gewöhnlichen Geschäftsverkehr handeln müsse. Hierzu stellte die Entscheidung vom 6.5.1977 fest, dass die Entscheidung vom 14.10.1966 einen Sonderfall betroffen habe. Außerdem sei im damaligen Entscheidungsfall kein einziger Verkaufspreis nachgewiesen worden, so dass es nicht darauf angekommen sei, ob nur ein einziger oder mehrere Verkäufe stattgefunden hätten. In der Entscheidung vom 7.12.1979 führte der BFH unter Hinweis auf den Leitsatz zu seinem Urteil vom 14.10.1966 erneut aus, dass "nach dem Wortlaut des § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG der gemeine Wert aus Verkäufen, mithin aus einer Mehrzahl von Veräußerungsgeschäften abzuleiten sei", und an dieser Voraussetzung fehle es im Streitfall. Im Leitsatz zum Urteil vom 2.12.1979 wird die Aussage "Mehrzahl von Verkaufspreisen" dahin eingeschränkt, dass dies jedenfalls gelte, wenn es sich lediglich um die Veräußerung eines Zwerganteils an der Gesellschaft handle.
Rz. 159
Diese etwas verwirrend erscheinende Rechtsprechung über die Ableitung des gemeinen Werts von Anteilen an Kapitalgesellschaften aus Verkäufen hat durch das BFH-Urteil vom 5.3.1986 die notwendige Klärung erfahren. Danach genügt ein einziger Verkauf eines nichtnotierten Anteils, wenn Gegenstand des Verkaufs nicht nur ein Zwerganteil ist. Bei geringfügigen Beteiligungen kann der gemeine Wert der Anteile an der Gesellschaft nur aus einer Mehrheit von Verkäufen abgeleitet werden. Bis zu welcher Höhe eine Beteiligung geringfügig ist, lässt der BFH mangels Entscheidungserheblichkeit offen. Nach FG Köln vom 12.3.1998 reicht ein einziger Verkauf von Anteilen im Nennwert von 50 000 DM nicht aus, wenn zum Ende des Jahres, in dem dieser Verkauf stattfand, rund 169 Mio. DM als erfolgsneutrale Kapitalrücklage eingebucht wurden, so dass sich die Kapitalverhältnisse der Gesellschaft völlig veränderten. Bewertungsstichtag war in diesem Fall jedoch nicht der Verkaufstag im Januar, sondern der 31.12. des Verkaufsjahres. Maßgebend für die Ableitung des gemeinen Werts ist damit nicht die Zahl der Verkaufsfälle, sondern der Umfang des Verkaufs im Verhältnis zum Kapital der Gesellschaft.
Rz. 160
Die Ableitung des Anteilswerts aus stichtagsnahen Verkaufsfällen ist von den Gesellschaftern einer GmbH erfolglos beanstandet worden, weil der gleichzeitige Verkauf der Anteile an eine andere GmbH nicht im gewöhnlichen Geschäftsverkehr erfolgt sei.
Die drei Beschwerdeführer waren Gesellschafter der A-GmbH i.L. Das Stammkapital der A-GmbH betrug 100 000 DM. Das Finanzamt stellte den gemeinen Wert der Anteile an der A-GmbH zum 31.12.1993 auf 17 800 DM je 100 DM des Stammkapitals fest. Den gemeinen Wert leitete das Finanzamt aus Anteilsverkäufen vom 19.5.1993 ab, mit denen alle Gesellschafter der A-GmbH jeweils 50 % ihrer Stammanteile (zusammen nominell 50 000 DM) zu einem Kaufpreis von 8 900 000 DM an die B-GmbH veräußert hatten. Die dagegen erhobene Klage, mit der geltend gemacht wurde, der von der B-GmbH gezahlte Kaufpreis könne nicht als Marktpreis herangezogen werden, weil der Verkauf nicht im gewöhnlichen Geschäftsverkehr erfolgt sei, blieb ohne Erfolg. Mit Beschluss vom 22.8.2002 wies der BFH die hiergegen gerichtete Beschwerde zurück. Das im Streitfall bestehende krasse Missverhältnis der stichtagsnahen Verkaufspreise zu dem Wert, der sich nach dem – im entschiedenen Fall noch geltenden – Stuttgarter Verfahren ergeben würde, lasse nicht den Schluss zu, den stichtagsnahen Verkäufen lägen ungewöhnliche oder persönliche Verhältnisse zugrunde. Denn das Stuttgarter Verfahren könne jedenfalls für Stichtage ab 31.12.1992 – bedingt durch die gesetzliche Anordnung der Übernahme der Steuerbilanzwerte – den gemeinen Wert der Anteile regelmäßig nicht mehr erreichen. Die Maßgeblichkeit der Steuerbilanzwerte für die Ansätze der Vermögenswerte der Kapitalgesellschaft habe denselben Effekt wie beim Betriebsvermögen. Sie führe nicht nur zu einem durchschnittlich um etwa ein Drittel niedrigeren Wertansatz der zum Betriebsvermög...