Dipl.-Finw. (FH) Wilfried Mannek
A. Entstehung und Bedeutung der Vorschrift
I. Erbschaftsteuerreformgesetz
Rz. 1
Der Gesetzgeber wollte mit dem Gesetz zur Reform des Erbschaftsteuer- und Bewertungsrechts den mit Beschluss des BVerfG vom 7.11.2006 geforderten Ansatz des gemeinen Werts für alle Vermögensgegenstände bei der Ermittlung des steuerpflichtigen Erwerbs realisieren. Deshalb definiert § 177 BewG ausdrücklich den gemeinen Wert als Bewertungsziel für die nach §§ 179 und 182 bis 196 BewG erforderlichen Bewertungen.
Rz. 2
Der weiterhin zu beachtende Leitsatz des Beschlusses des BVerfG vom 7.11.2006 lautet:
„1. Die durch § 19 Abs. 1 ErbStG angeordnete Erhebung der Erbschaftsteuer mit einheitlichen Steuersätzen auf den Wert des Erwerbs ist mit dem Grundgesetz unvereinbar, weil sie an Steuerwerte anknüpft, deren Ermittlung bei wesentlichen Gruppen von Vermögensgegenständen (Betriebsvermögen, Grundvermögen, Anteilen an Kapitalgesellschaften und land- und forstwirtschaftlichen Betrieben) den Anforderungen des Gleichheitssatzes aus Art. 3 Abs. 1 GG nicht genügt.
2.a) Die Bewertung des anfallenden Vermögens bei der Ermittlung der erbschaftsteuerlichen Bemessungsgrundlage muss wegen der dem geltenden Erbschaftsteuerrecht zugrunde liegenden Belastungsentscheidung des Gesetzgebers, den durch Erbfall oder Schenkung anfallenden Vermögenszuwachs zu besteuern, einheitlich am gemeinen Wert als dem maßgeblichen Bewertungsziel ausgerichtet sein. Die Bewertungsmethoden müssen gewährleisten, dass alle Vermögensgegenstände in einem Annäherungswert an den gemeinen Wert erfasst werden.
b) Bei den weiteren, sich an die Bewertung anschließenden Schritten zur Bestimmung der Steuerbelastung darf der Gesetzgeber auf den so ermittelten Wert der Bereicherung aufbauen und Lenkungszwecke, etwa in Form zielgenauer und normenklarer steuerlicher Verschonungsregelungen, ausgestalten.”
Rz. 3
Dennoch darf nicht übersehen werden, dass die zur Bewertung des Grundvermögens eingeführten Vorschriften weiterhin Pauschalierungen enthalten, die den gemeinen Wert lediglich in einer Bandbreite abbilden werden.
Rz. 4
Der Regelungsinhalt der Vorschrift beschränkte sich zunächst auf den aktuellen Absatz 1.
II. Grundsteuerreform-Umsetzungsgesetz
Rz. 5
Mit dem Grundsteuerreform-Umsetzungsgesetz wurde § 177 BewG wie folgt gefasst:
„(1) Den Bewertungen nach den §§ 179 und 182 bis 196 ist der gemeine Wert (§ 9) zu Grunde zu legen.
(2) Die für die Wertermittlung erforderlichen Daten des Gutachterausschusses im Sinne des § 193 Absatz 5 Satz 2 des Baugesetzbuchs sind bei den Bewertungen nach den §§ 182 bis 196 für längstens zwei Jahre ab dem Ende des Kalenderjahres maßgeblich, in dem der vom Gutachterausschuss zugrunde gelegte Auswertungszeitraum endet. Soweit sich die maßgeblichen Wertverhältnisse nicht wesentlich geändert haben, können die Daten auch über einen längeren Zeitraum als zwei Jahre hinaus angewendet werden.”
Diese vorstehende Fassung gilt für alle Bewertungsstichtage nach dem 22.7.2021 (§ 265 Abs. 12 BewG) und vor dem 1.1.2023.
III. Jahressteuergesetz 2022
Rz. 6
Mit dem Jahressteuergesetz 2022 v. 16.12.2022 wurde § 177 BewG für Bewertungsstichtage nach dem 31.12.2022 in der aktuellen Fassung verabschiedet (§ 265 Abs. 14 BewG).
Rz. 7
Die Neufassung des Abs. 2 und die neu eingefügten Absätze 3 und 4 enthalten im Wesentlichen eine redaktionelle Anpassung der erst mit dem Grundsteuerreform-Umsetzungsgesetz eingefügten Änderungen sowie eine inhaltliche Aktualisierung.
Rz. 8– 10
Einstweilen frei.
B. Gemeiner Wert als Zielgröße (Abs. 1)
I. Gleichmäßige Bemessungsgrundlagen erforderlich
Rz. 11
Nach § 177 Abs. 1 BewG ist den Bewertungen nach den §§ 179 und 182 bis 196 der gemeine Wert (§ 9 BewG) zu Grunde zu legen. Das angestrebte Bewertungsziel des gemeinen Werts nach § 9 BewG entspricht inhaltlich dem Verkehrswert (Marktwert) nach § 194 BauGB.
Rz. 12
Die Werte der einzelnen Vermögensgegenstände wurden vor dem Beschluss des BVerfG vom 7.11.2006 bei der Erbschaft-/Schenkungsteuer nicht einheitlich, sondern auf unterschiedliche Art und Weise ermittelt. Diese Ungleichheiten waren verfassungsrechtlich nicht akzeptabel. Denn der über § 12 Abs. 1 ErbStG anwendbare § 9 Abs. 1 BewG nennt als Regelfall den gemeinen Wert, also den V...