A. Grundaussagen der Vorschrift
I. Entstehung der Vorschrift
Rz. 1
Die Vorschrift des § 4 BewG befand sich früher in § 147 AO; sie ist durch die VO v. 1.12.1930 sachlich unverändert in das BewG 1931 (dort § 3) übernommen worden. Die Vorschrift hat dann ihren Platz, ebenfalls ohne Änderung, in § 4 BewG 1934 und 1965 gefunden, vgl. auch Vor §§ 4–8 BewG Rz. 25.
II. Eingeschränkter Anwendungsbereich
Rz. 2
Den größten praktischen Anwendungsbereich hat die Vorschrift derzeit für Erwerbe im Sinne des ErbStG. Dort verweist insbesondere § 12 ErbStG auf "den Ersten Teil des Bewertungsgesetzes" und damit auch auf § 4 BewG. Die Vorschrift hat als Bewertungsregel nicht nur für die Feststellung des steuerpflichtigen Erwerbs (§ 10 ErbStG) Bedeutung, sondern ist als allgemeiner steuerrechtlicher Grundsatz schon bei der Ermittlung der objektiven Bereicherung bei einer unentgeltlichen Zuwendung, d.h. schon im Rahmen des § 7 ErbStG zu beachten. Die Anordnung der Nichtberücksichtigung hat neben dem aufschiebend bedingten Erwerb der Schenkerleistung auch für den (Nicht-)Ansatz einer erst aufschiebend bedingt zu erwerbenden Gegenleistung des Bedachten Bedeutung.
Für Grundbesitz und sonstiges Vermögen hat die Vorschrift (noch) Bedeutung, sowohl für die Einheitsbewertung des Grundbesitzes für Grundsteuerzwecke als auch für die Ermittlung der Grundbesitzwerte (§§ 151 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 157 Abs. 1 bis 3 BewG) bei der Grunderwerbsteuer.
Nicht in den Anwendungsbereich des § 4 BewG fällt der klassische Fall des aufschiebend bedingten Erwerbs, nämlich der Eigentumsvorbehalt. Denn § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO ordnet hier bereits vor Bedingungseintritt dem Erwerber das Wirtschaftsgut zu.
B. Aufschiebend bedingter Erwerb – Begriff
Rz. 3
Das Maß der Aussichten, die im Feststellungszeitpunkt für den Eintritt oder Nichteintritt einer Bedingung bestehen, ist nach der Rechtsprechung nicht entscheidend dafür, ob eine Verpflichtung aufschiebend oder auflösend bedingt ist. Wie auch im bürgerlichen Recht muss im Steuerrecht streng zwischen aufschiebender und auflösender Bedingung unterschieden werden, wobei diese Begriffe auch im Steuerrecht keine Auslegung unter dem Gesichtspunkt der wirtschaftlichen Betrachtungsweise zulassen. Von der aufschiebenden Bedingung ist der Eintritt, von der auflösenden Bedingung die Wiederaufhebung der gewollten Rechtswirkungen abhängig.
§ 4 BewG regelt die bewertungsrechtliche Behandlung des aufschiebend bedingten Erwerbs. Der Begriff der aufschiebenden Bedingung und damit auch der Begriff des aufschiebend bedingten Erwerbs entsprechen den hierfür maßgebenden Grundsätzen des bürgerlichen Rechts. Ebenso folgt das stichtagsbezogene Bewertungsrecht in der Behandlung des aufschiebend bedingten Erwerbs dem bürgerlichen Recht (vgl. Vor §§ 4–8 BewG Rz. 4). Demgemäß liegt ein aufschiebend bedingter Erwerb vor, wenn die gewollten Wirkungen eines Rechtsgeschäfts, das den Erwerb von Wirtschaftsgütern zum Gegenstand hat, von dem Eintritt eines zukünftigen Ereignisses abhängig sind, wobei ungewiss ist, ob das Ereignis eintreten wird.
Die von der Bedingung abhängig gemachten Wirkungen treten erst mit dem Eintritt der Bedingung ein. Entscheidend ist hiernach, dass der Anspruch am Bewertungsstichtag entstanden ist, während nicht erforderlich ist, dass er fällig ist.
Beispiel:
Der Erblasser E hat in seinem Testament dem Erben A die Verpflichtung auferlegt, dem B aus der Erbschaft 5.000 EUR zu zahlen, wenn B heiratet. Die Forderung des B gegen A ist aufschiebend bedingt (vgl. auch § 6 BewG Rz. 1 wegen der aufschiebend bedingten Verpflichtung des A).
Rz. 4
Der Eintritt der aufschiebenden Bedingung hat den Eintritt der gewollten Wirkungen des Rechtsgeschäfts (im Beispiel: der testamentarischen Bestimmung) zur Folge, und zwar vom Zeitpunkt des Eintritts der Bedingung an (§ 158 Abs. 1 BGB). Die vom Berechtigten zuvor nur bedingt erworbene Forderung wird nunmehr zu einer unbedingten. Fällt die Bedingung aus, d.h. steht fest, dass sich der fragliche Tatbestand nicht mehr vollziehen kann, so verliert die testamentarische Bestimmung ihre Wirksamkeit.
Rz. 5
Die Vorschrift erfasst nur positive Wirtschaftsgüter, denn § 6 BewG behandelt abschließend aufschiebend bedingte Verbindlichkeiten. Zum Begriff des Wirtschaftsguts vgl. § 2 BewG Rz. 49. Als Beispielsfälle sind i...