Provokant könnte man sagen: Künftig gelten auch auf dem Steuerberatungsmarkt mehr marktwirtschaftliche Wettbewerbsverhältnisse. Das hat die Corona-Krise ganz deutlich gezeigt: Während einige Kanzleien es nicht schaffen, mit den vorhandenen Möglichkeiten alle nötigen Aufgaben für die aktuellen Mandantenunternehmen fristgerecht abzuarbeiten, schaffen es vor allem spezialisierte Kanzleien, Mandantenzuwachs attraktiver Unternehmensmandanten zu generieren. Denn gerade in Krisenzeiten sind Bewegungen im Markt möglich, die in "normalen Zeiten" weniger fluide sind. Künftig regeln mutmaßlich noch viel mehr Angebot und Nachfrage, wer welche Dienstleistungen in dem Markt erfolgreich anbietet und wer von ihm nach und nach verdrängt wird, oder gezwungen wird, die eigenen Dienstleistungen zu ungünstigen Konditionen anzubieten. Natürlich wird der Steuerberatungsmarkt weiterhin stark reguliert bleiben – aber es ist absehbar, dass 3 Entwicklungen massive Veränderungen forcieren werden:
- Digitalisierung
- E-Governance und Schwinden nationaler Marktzugangsbeschränkungen
- Wachsender Bedarf an unternehmerischer Beratung durch inhabergeführte Unternehmen
Nach der Oxford Studie (Frey & Osborne, 2013) gehören Steuerberatung sowie Lohn- und Finanzbuchhaltung zu den Berufsfeldern, die in den kommenden 20 Jahren von der intelligenten Software weitgehend ersetzt werden – zumindest in der derzeitigen Form. D. h. nicht zwangsläufig, dass weniger Arbeitsplätze und Kanzleien in der Steuerberatungsbranche gebraucht werden. Eher wahrscheinlich ist, dass sich sehr stark ändern wird, was und wie gearbeitet wird. Das betrifft auch, in welchen Strukturen Steuerberatungsdienstleistungen am Markt angeboten werden: in Kanzleien (klein, mittel, groß), Netzwerken, Konzernen oder über freie Netzwerke, die sich z. B. über Social Media ohne Unternehmensstrukturen organisieren, als Freelancer auf allen Qualifikationsebenen.
Das sind radikale Änderungen. In den letzten Jahren haben sich bereits völlig neue Anbieter von Online-Buchhaltungen – die neuartige Softwarelösungen und persönliche Dienstleistung von qualifizierten Buchhaltern verbinden – am Markt platziert, teilweise sind Player auch schon wieder verschwunden. Diese haben aber gezeigt, dass es möglich ist, kurzfristig und ohne große Budgets hunderte Mandanten zu akquirieren, die sich offensichtlich aktuell mit diesen Dienstleistungen nicht gut bei ihrer Steuerkanzlei aufgehoben fühlten.
Doch das ist nur die Spitze des Eisbergs: Blickt man nach Nordamerika oder in Länder Südeuropas, ist deutlich sichtbar, dass eine seitens der Regierung getriebene Entwicklung in Richtung E-Government auch drastische Folgen für Steuerkanzleien in Deutschland haben wird: So ist es künftig in Großbritannien möglich, als Unternehmer bis zu einer gewissen Größenordnung auf Buchhaltung, Abschluss und Steuererklärung komplett zu verzichten – da der britische Fiskus bald auf Basis der bekannten elektronischen Zahlungsvorgänge die Steuerberechnungen anstellt. Nur wer die so erstellten Steuerbescheide anfechten will, muss Buchhaltung, Abschluss und Steuererklärungen einreichen.
Man bedenke: Ca. 60-80 % der Dienstleistungen einer durchschnittlichen deutschen Steuerkanzlei beziehen sich genau auf diese Prozesse, die der reinen Steuerermittlung dienen. Genau diese Umsätze stehen künftig zur Disposition – und deshalb sind aktive Steuerkanzleien schon seit einigen Jahren dabei, neue Dienstleistungen und Geschäftsmodelle zu entwickeln.
Die gute Nachricht: Diese Geschäftsmodelle gibt es schon, und auch hier kann teilweise auf Bewährtes gesetzt werden.
Welche Mandanten z. B. betriebswirtschaftlich beraten werden können, oder für welche Mandanten so digital wie möglich und auch mit den Steuerberatungsleistungen so nah an den unternehmensinternen Prozessen und Infrastrukturen gearbeitet werden kann wie möglich. Hier stellt sich schnell die Frage, oder auch wie die Zielgruppe der "Papiermandanten" sinnvoll weiter bedient werden kann oder soll. Welches Know-how dabei in der Kanzlei auf allen Ebenen entwickelt werden muss, und wie die Arbeitsprozesse und das Qualitätsmanagement entsprechend weiterentwickelt werden. Das sind die strategischen Kernfragen, mit denen sich heute alle Steuerkanzleien auseinandersetzen sollten - nicht nur die besonders progressiven.
Denn klar ist auch: Bei vielen inhabergeführten Unternehmen liegt potenzieller Beratungsumsatz für die Steuerkanzlei brach. Das hat ganz verschiedene Gründe: zum einen die Überforderung vieler Kanzleien, das aktuelle Deklarationsgeschäft – das wohl künftig weniger wird – abzuarbeiten. Zum anderen sind ganz andere Kompetenzen, Arbeitsprozesse und Herangehensweisen nötig, diese Beratungsbedürfnisse bei Mandanten zu bedienen, als das reine Abarbeiten der vom Finanzamt vorgegebenen Anforderungen und Termine. Zudem sind für spezifische Beratungsangebote auch nicht alle Steuerkanzleimandanten offen oder haben hier Bedarfe – differenzierte Angebote oder Nischenangebote müssen detailliert entwickelt ...