Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfassungsmäßigkeit des Sonderausgabenabzugs für Kinderbetreuungskosten nach § 10 Abs. 1 Nr. 5 EStG
Leitsatz (redaktionell)
Der Sonderausgabenabzug für Kinderbetreuungskosten nach § 10 Abs. 1 Nr. 5 EStG ist verfassungskonform. Inbesondere ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass bei geschiedenen wie auch bei nicht verheirateten oder dauernd getrennt lebenden Eltern nur derjenige Elternteil zum Abzug berechtigt ist, der die Aufwendungen getragen hat und zu dessen Haushalt das Kind gehört.
Normenkette
EStG § 10 Abs. 1 Nr. 5 S. 1; GG Art. 1 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 6 Abs. 2, Art. 20 Abs. 1
Tatbestand
Streitig ist, ob das Erfordernis der „Haushaltszugehörigkeit” des Kindes im Sinne des § 10 Abs. 1 Nr. 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG) verfassungsgemäß ist.
Der Kläger ist Vater einer am 17.10.01 geborenen Tochter und lebt seit 2018 von der Kindesmutter dauernd getrennt. Die gemeinsame Tochter hat ihren ausschließlichen Wohnsitz bei der Mutter und gehörte im Veranlagungsjahr 2020 nicht zum Haushalt des Klägers. Der Kläger praktizierte im Jahr 2020 das sogenannte Residenzmodell, wonach er den Barunterhalt schuldet, die Kindesmutter die Betreuung. Der Kläger leistet keinen Ehegattenunterhalt.
Die Tochter besuchte im Veranlagungsjahr einen Kindergarten sowie nach ihrer Einschulung den Hort einer Grundschule. Für den Besuch des Kindergartens zahlte die Kindesmutter unbar jährlich 250 Euro und für den Besuch des Schulhorts jährlich 348 Euro. Der zivilrechtlich im Rahmen des Mehrbedarfs zur anteiligen Zahlung von Kindergartenbeiträgen und Hortgebühr verpflichtete Kläger erstattete der Kindesmutter jeweils monatlich den hälftigen Betrag.
Er beantragte für 2020 die Berücksichtigung der von ihm tatsächlich geleisteten Aufwendungen in Höhe von 299 Euro als Sonderausgaben i.S.d. § 10 Abs. 1 Nr. 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Der Beklagte lehnte dies im streitigen Bescheid vom 30.03.2021 ab, da das Kind während des gesamten Veranlagungszeitraums nicht zum Haushalt des Klägers gehörte.
Gegen die Nichtberücksichtigung der Kinderbetreuungskosten richtet sich die vorliegende Sprungklage, der der Beklagte zugestimmt hat.
Der Kläger trägt vor, der Einkommensteuerbescheid vom 30.03.2021 sei rechtswidrig. Die Norm des § 10 Abs. 1 Nr. 5 Satz 1 EStG verstoße gegen das subjektive Nettoprinzip, welches sich aus Artikel 3 Abs. 1, Artikel 1 Abs. 1 i.V.m. Artikel 20 Abs.1 und Artikel 6 Abs. 2 Grundgesetz (GG) ableite. Der Begriff der Sonderausgaben sei nicht legal definiert, sondern lediglich negativ abgegrenzt zu den Begriffen Betriebsausgaben und Werbungskosten. Auch durch Auslegung der einzelnen Tatbestände des § 10 EStG lasse sich kein allgemeingültiger Sonderausgabenbegriff ermitteln. Systematisch handele es sich bei Sonderausgaben um Einkommensverwendung. Entscheidend für den Abzug der Aufwendungen als Sonderausgaben sei, dass der Steuerpflichtige durch eigene Privataufwendungen in seiner steuerlichen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt sei (vgl. BVerfG, Beschl. v. 10.11.1998 – 2 BvR 1057 /91, 2 BvR 1226/91, 2 BvR 980/91, BVerfGE 99, 216; BFH, Urt. v. 19.04.1989 – X R 2/84, BFHE 157, 101; Urt. v. 04.04.1989 – X R 14/89, BFHE 157, 88). Weiter könnten die Aufwendungen durch den Steuerpflichtigen grundsätzlich nur dann abgezogen werden, wenn die Aufwendungen auf einer für den Steuerpflichtigen bestehenden öffentlich-rechtlichen oder privatrechtlichen Verpflichtung beruhten und der Steuerpflichtige die Aufwendungen selbst geleistet habe.
Grundsätzlich erkenne der Gesetzgeber Aufwendungen für Dienstleistungen zur Kinderbetreuung als Sonderausgaben in § 10 Abs. 1 Nr. 5 EStG an. Voraussetzung für den Abzug der Aufwendungen nach Satz 1 sei, dass der Steuerpflichtige für die Aufwendungen eine Rechnung erhalten habe und die Zahlung auf das Konto des Erbringers der Leistung erfolgt sei. Die angegriffene Norm sei durch das Steuervereinfachungsgesetz 2011 vom 01.11.2011 in das Einkommensteuergesetz aufgenommen worden. Bis dahin seien Kinderbetreuungskosten unter bestimmten Voraussetzungen als Werbungskosten abzugsfähig gewesen. Im sogenannten Residenzmodell, welches der Kläger im streitgegenständlichen Veranlagungszeitraum praktiziert habe, schulde ein Elternteil, hier der Kläger, den Barunterhalt, wohingegen der andere Elternteil die Betreuung übernehme. Die Betreuung des Kindes durch Dritte infolge der Berufstätigkeit des betreuenden Elternteils stelle daher für sich genommen keinen Mehrbedarf des Kindes dar. An dieser Feststellung, an der der BGH im Beschluss vom 04.10.2017 (XII ZB 55/17, Rn. 18, BGHZ 216, 96) auch grundsätzlich festhalte, habe sich der Gesetzgeber 2011 orientiert. Er verknüpfe die dauerhafte Zugehörigkeit des Kindes zum Haushalt eines Elternteils (üblicherweise des Elternteils, welches den Betreuungsunterhalt schulde) mit dem ausschließlichen Recht auf Abzug der Kinderbetreuungskosten. Die Betreuungskosten stellten nach dieser mittlerweile in der allgemeinen und grundsätzlichen For...