Prof. Dr. Michael Olbrich, Marcus Kalwa
Rz. 32
Zu den Aufgaben des „Deutschen Rechnungslegungs Standards Committee e. V.“ [sic!] (DRSC) gehört gem. § 342 Abs. 1 HGB die "Entwicklung von Empfehlungen zur Anwendung der Grundsätze über die Konzernrechnungslegung", die sich in der Veröffentlichung der sog. „Deutschen Rechnungslegungsstandards“ [sic!] (DRS) manifestieren. Diese sind formal eine Regelungsstufe unterhalb der gesetzlichen Vorschriften des HGB angesiedelt und dürfen somit diesen nicht widersprechen. In erster Linie dienen sie daher zur Auslegung von Bereichen, die im HGB unberücksichtigt oder nur unzureichend allgemein geregelt sind.
Rz. 33
Nachdem das DRSC sich im März 2002 aufgrund von materiellen Unterschieden zum Gesetz gegen eine Verabschiedung des Entwurfs für DRS 16 entschied, veröffentlichte der Deutsche Standardisierungsrat (DSR) Ende 2010, und damit zeitlich nach der Verabschiedung des BilMoG, einen neuen Standardentwurf zur „Konkretisierung der neuen Anforderungen zur Konzernaufstellungspflicht“. Der so entstandene und im Jahr 2011 veröffentlichte DRS 19 orientiert sich dabei an einer streng formalen Auslegung des § 290 HGB. So ist unwiderlegbar von einem konsolidierungspflichtigen Tochterunternehmen auszugehen, wenn einer der 4 in § 290 Abs. 2 HGB aufgelisteten Tatbestände vorliegt. Erfüllen mehrere Unternehmen einen der 4 Tatbestände, entstehen gemäß der formalen Auffassung Doppelkonsolidierungspflichten. Dies trifft insbesondere auf Zweckgesellschaften zu, bei denen die rechtliche und wirtschaftliche Zuordnung regelmäßig auseinanderfallen (Siehe auch Rz. 29). Als Korrektiv kann in diesem Fall das im § 296 Abs. 1 Nr. 1 HGB kodifizierte Wahlrecht angesehen werden, durch welches der Bilanzierende bei einer erheblichen und andauernden Beschränkung der Beherrschung von einer Konsolidierung absehen kann.
Rz. 34
Besonders hervorzuheben ist im DRS 19, dass eine Operationalisierung des beherrschenden Einflusses stattfindet, und die anzuwendende Vorgehensweise bei der Beurteilung der Risiko- und Chancenverteilung dargestellt wird. Wo im Gesetz lediglich die Sprache von einem beherrschenden Einfluss auf die Finanz- und Geschäftspolitik ist, wird beides im DRS 19 näher erläutert. Ebenso wird entgegen der Gesetzesbegründung des BilMoG keine explizite Dauerhaftigkeit hinsichtlich der Möglichkeit eines beherrschenden Einflusses gefordert. In Bezug auf die Ermittlung der Risiken- und Chancenverteilung wird konkretisiert, dass ein bloßes Abzählen der quantitativen als auch qualitativen Risiken ohne jegliche Gewichtung oder Bewertung nicht zulässig sei. Dabei fallen Risiken von Eigenkapitalgebern schwerer ins Gewicht als die der Fremdkapitalgeber. Auch eine Barwertbetrachtung ist nur erlaubt, wenn gleichartige quantitative Risiken und Chancen verglichen werden.
Rz. 35
In Bezug auf Zweckgesellschaften weicht der DRS 19 nicht vom Wortlaut des § 290 Abs. 2 Nr. 4 HGB ab. Demnach wird das Vermögen einer Zweckgesellschaft regelmäßig für die bei der Etablierung festgelegte Zielsetzung genutzt und es bedarf oftmals keiner wesentlichen geschäftspolitischen Entscheidungen mehr. Da diese Formulierung einen Kreis an Zweckgesellschaften – z. B. SPACs – ausschließen würde, entschärft der DRS 19 im Folgenden und räumt ein, dass Entscheidungs- und Handlungsspielräume im Rahmen der Zwecksetzung verbleiben können.
Rz. 36
Obgleich der DSR sowohl die Kritik an der formal-juristischen Auslegung des § 290 Abs. 2 HGB als auch die Abweichungen zu den IFRS anerkennt, sieht er aufgrund des eindeutigen Wortlauts des Gesetzes, der Gesamtkonzeption – mit § 296 Abs. 1 Nr. 1 HGB als Korrektiv für die formal-juristische Auslegung – sowie der unveränderten Übernahme der bisher herrschenden Meinung (§ 290 Abs. 2 HGB a. F.) in den neuen Ansatz, keine ausreichende Grundlage für eine materielle Auslegung.