Könnten KI-Tools wie ChatGPT die Personal- und Marketingarbeit in Steuerkanzleien komplett ersetzen? Nein, sagt Maximilian Müller von Baczko, Marketingverantwortlicher bei Steuerberaten.de. Warum er ChatGPT trotzdem täglich nutzt und warum das seiner Meinung nach alle Steuerexpertinnen und -experten tun sollten, erzählt er im Interview.
Herr Müller von Baczko, wenn ich Ihre Chats mit ChatGPT der vergangenen Tage anschauen könnte, welche Fragen würde ich da sehen?
Ich habe mir eine Keyword-Liste für eine Marketing-Kampagne mit Google AdWords erstellen lassen. Mit der Kampagne wollen wir gezielt Mandanten im eCommerce-Bereich erreichen. Ich wollte überprüfen, welche Keywords für die Kampagne von ChatGPT vorgeschlagen werden und welche Anzeigentitel und -texte sich daraus ergeben. Außerdem habe ich mir von ChatGPT bei der Erstellung eines LinkedIn-Beitrags helfen lassen. Die Ergebnisse sind sehr gut, allerdings muss man diese gewissenhaft prüfen und abändern. Trotzdem erleichtert die Anwendung der KI die Arbeit deutlich und erhöht die Produktivität in unserem Team.
Sie arbeiten bei einer recht großen Kanzlei als Head of Marketing. Wie kamen Sie dazu, ChatGPT zu nutzen und wie nutzen Sie es?
Ich habe vor ein bis zwei Jahren bereits erste Tests mit KI-Tools durchgeführt. Damals gab es noch keinen Chatbot, aber man konnte sich beispielsweise Textvorschläge für einen Blogartikel zu einem bestimmten Thema geben lassen. Die Ergebnisse waren jedoch nicht besonders gut und nicht wirklich verwendbar. Mit den aktuellen Versionen von ChatGPT gab es in der Qualität der Ergebnisse einen Quantensprung und seitdem versuchen ich und mein Team, es so viel wie möglich zu nutzen. Das zeigt das riesige Potential von KI in der Zukunft. Die Geschwindigkeit der Entwicklung ist beeindruckend. Es erleichtert uns schon jetzt die Arbeit im Marketing, Business Development und HR enorm. Ich nutze es unter anderem für die Optimierung von Blogartikeln, zur Keyword-Recherche und für das Formulieren von Stellenanzeigen.
Woher holen Sie sich Inspiration oder Hilfe, wenn Sie mit ChatGPT arbeiten?
Ich habe mir vorgenommen, alle Aufgaben und Fragen, bei denen die KI helfen kann, an ChatGPT weiterzugeben, einfach, um den Umgang damit zu verbessern. Die Antworten dienen eher als Hilfe und Inspiration. Ich lese viele Informationen darüber und bin vor allem im Internet mit vielen Menschen im Austausch, die sich mit dem Thema beschäftigen. Außerdem arbeite ich intensiv mit Plugins für ChatGPT. Mit solchen Plugins kann man bestimmte Prompts automatisiert generieren lassen. Das spart mir viel Zeit.
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Wird ChatGPT in allen Bereichen der Kanzlei schon eingesetzt?
Unsere Kanzlei besteht aus einer recht jungen und internetaffinen Belegschaft, deshalb gibt es in vielen Bereichen großes Interesse an ChatGPT. Die Kolleginnen und Kollegen wenden die KI allerdings weniger in der fachlichen Arbeit an. Bei der Beantwortung steuerlicher Sachverhalte hat die KI unserer Erfahrung nach noch Nachholbedarf. Grundsätzlich gilt, dass alle Antworten und Ergebnisse in jedem Falle gewissenhaft geprüft werden. Allerdings kann die KI auch in den fachlichen Abteilungen unterstützen. Wir beraten eine Vielzahl an großen Onlinehändlern. Hier müssen oft große Datenmengen verarbeitet werden. Die KI kann etwa dabei helfen, Excel-Makros zu erstellen, die bei der Verarbeitung dieser Daten helfen.
Würden Sie so weit gehen und sagen, dass ChatGPT die Marketing- oder Personalverantwortlichen einer Steuerkanzlei ersetzen kann?
Nein, natürlich nicht in Gänze. Mein Team und ich sehen ChatGPT auch nicht als Bedrohung, sondern als Chance. ChatGPT ist eine tolle Hilfe und erleichtert uns schon heute in vielen Bereichen die Arbeit. Deshalb setzen wir uns mit den neuesten Entwicklungen und auch Tools auseinander, um sie gewinnbringend für unser Unternehmen zu nutzen. Das erhöht die Produktivität unserer Abteilung und damit unseren Stellenwert im Unternehmen.
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Wie sieht es aus mit Steuerkanzleien, die sich bisher nicht sonderlich um Marketing- oder Personalthemen gekümmert haben. Können die mithilfe von ChatGPT ihre Lücken auf diesen Gebieten schließen?
Eine gewisse Expertise im Umgang mit der KI muss auf jeden Fall trotzdem da sein. Man sollte sich mit der KI und deren Grenzen auseinandersetzen, um hilfreiche Ergebnisse erzielen zu können. Ich könnte ChatGPT zum Beispiel darum bitten, mir eine Stellenanzeige zu schreiben, die junge Fachangestellte ansprechen soll. Dann würde ich wahrscheinlich eine ganz gute Stellenanzeige erhalten, wie sie bereits bei vielen anderen Kanzleien existiert. Aber mit der muss ich auch etwas machen und sie zum Beispiel auf meinen vorhandenen Social-Media-Kanälen posten – und das ganze am besten noch eingebettet in einer passenden Kampagne, damit ich mich von anderen Kanzleien abhebe. Sich ausschließlich auf die Expertise von KI zu verlassen, reicht noch nicht aus, um effektives Marketing zu betreiben. ChatGPT kann Vorschläge geben, aber ganz ohne eigene Kreativität und Arbeit funktioniert das bisher nicht.
Arbeiten mit ChatGPT: Auf diese Dinge sollte man achten
Wo sehen Sie mögliche Gefahren im Umgang mit ChatGPT, wo sind Sie und Ihr Team noch vorsichtig?
Wir hinterfragen natürlich alles. Wenn ich mir zum Beispiel eine Keyword-Liste für eine Kampagne erstellen lasse, erhalte ich beispielsweise 300 Keywords, die ich einzeln nochmal durchgehe. Das klingt nach viel Arbeit, aber ich bekomme dafür Vorschläge, nach denen ich sonst lange hätte suchen müssen. Die Antworten von ChatGPT dienen also eher als Basis für die weitere Arbeit. Auch und gerade bei steuerfachlichen Texten, die ChatGPT zum Beispiel optimieren soll, muss man das Ergebnis genau überprüfen. Außerdem geben wir ChatGPT natürlich keine Mandanteninformationen oder andere persönlichen Daten.
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Was würden Sie denn jemanden raten, der ChatGPT in seiner Kanzlei nutzen möchte und noch keinerlei Erfahrung mit dem Tool hat. Wie sollte die Person starten?
Ich würde ganz banal rangehen und ChatGPT mit Fragen aus meinem Alltag füttern. Ich habe zum Beispiel damit gestartet, dass ich ChatGPT um ein Rezept gebeten habe und dazu Zutaten genannt habe, die noch in meinem Kühlschrank waren. So macht man sich erst einmal mit dem Tool vertraut. Ich würde zum Beispiel auch damit beginnen, Emails, die ich beantworten möchte, in ChatGPT einzugeben und schauen, welche Antworten ich erhalte. Es geht darum, herauszufinden, mit welchem Feedback und welchen Fragen das Programm gut arbeiten kann. So nähert man sich immer mehr dem Ergebnis, das man haben will. Grundsätzlich muss man verstehen, wie die KI funktioniert, was ich als Prompt eingeben muss und welche Grenzen Sie hat. Das gelingt vor allem durch Trial and Error.
ChatGPT und auch andere KI-Tools werden laufend optimiert. Wie stellen Sie sich mit Blick auf diese Entwicklungen in Zukunft Ihren Arbeitsalltag und den Ihres Teams vor?
Wir stehen am absoluten Anfang dieser Entwicklung im Bereich der KI und auch am Anfang dessen, was der Einsatz dieser KI für die Steuerberatung bedeutet. Deshalb wollen wir uns aktiv damit auseinandersetzen und die Chancen effektiv nutzen. Aus meiner Sicht stellt die effiziente Nutzung von KI definitiv einen Wettbewerbsvorteil dar. Ich denke, in Zukunft werden wir einige Aufgaben an die KI abgeben können. Dafür wird es aber Bedarf an neuen Expertisen geben, etwa, wie man effizient mit KI-Tools umgehen kann. Ich sehe zum Beispiel den Beruf des „Prompt-Engineers“, also einer Person, die genau weiß, wie Sie mit der KI arbeiten kann, als sehr zukunftsträchtig an. So können ganz neue Berufe entstehen. Deswegen würde ich jedem raten, sich jetzt intensiv mit den neuen KI-Tools zu beschäftigen und sei es auch nur, um herauszufinden, dass das Tool aktuell keinen Mehrwert bietet. Aber sich damit nicht zu beschäftigen, ob als Marketeer, als Steuerberater oder ITler, halte ich für hochgradig gefährlich.