Spätestens seit ChatGPT steuerfachliche Prüfungsaufgaben meister kann, ist klar: Die neue Qualität Künstlicher Intelligenz bringt für die Steuerberaterbranche Veränderungen mit sich. Doch die Risiken sind überschaubar und der Berufsstand bleibt gelassen, wie ein kleines Stimmungsbild aus der Branche zeigt.
Es war eine erstaunliche Nachricht, die das Tax-Tech-Unternehmen Taxy.io Ende März verkündete: Erstmals hatte eine Künstliche Intelligenz (KI) Prüfungsaufgaben einer deutschen steuerfachlichen Prüfung bestanden. ChatGPT4 ist ihr Name und OpenAI der KI-Anbieter dahinter. Die Fähigkeiten der Künstlichen Intelligenz wurden von Taxy.io in einer Kurz-Studie überprüft und ausgewertet.
Für den Test wählte man zwei Musteraufgaben aus der Steuerfachangestellten-Prüfung aus. Dabei zeigte sich: Das GPT-4-Modell ist deutlich leistungsfähiger als die Vorgänger-Version GPT-3.5. Auch dieses Modell wurde zuvor auf seine steuerlich-fachliche Kompetenz getestet. „In unseren Tests, die wir anhand offizieller Musteraufgaben von steuerfachlichen Prüfungsaufgaben durchgeführt haben, war schon allein die Entwicklung in den letzten wenigen Monaten beeindruckend“, erläutert Steffen Kirchhoff, CTO & Co-Founder von Taxy.io.
Während ChatGPT auf Basis des Modells GPT-3.5 die erforderliche Punktzahl zum Bestehen noch knapp verpasst hat, konnte es den Test mit dem neueren Modell GPT-4 bereits knapp bestehen. „Somit lässt sich festhalten, dass heutzutage eine künstliche Intelligenz durchaus in der Lage ist, eine steuerliche Fachprüfung in Deutschland erfolgreich zu meistern“, so Kirchhoff. Gleichzeitig gibt der Experte aber auch zu bedenken, dass bei KI-Systemen wie ChatGPT zu beachten ist, dass die gegebenen Antworten nur die wahrscheinlichsten, aber nicht unbedingt die richtigen sind. In diesem Zusammenhang sei oft von „halluzinierten“ Antworten die Rede, die nicht auf Fakten basieren.
KI-Lösungen eröffnen neue Perspektiven
Um diese Herausforderung zu bewältigen, arbeitet man bei Taxy.io derzeit an einem TaxGPT-Modell, das speziell für den Einsatz als Expertensystem zur Beantwortung von Steuerfragen entwickelt wird. „Dieses System wird sowohl auf Expertenwissen aus Verlagsdatenbanken als auch auf Informationen aus kanzleieigenen Dokumenten zurückgreifen können, um fundierte Antworten mit entsprechenden Quellennachweisen zu liefern“, kündigt Kirchhoff an. Für Kanzleien eröffnet das die Perspektive, sich weniger um das mühselige Zusammentragen und Recherchieren von Informationen kümmern zu müssen und die so gewonnene Zeit vielmehr für die individuelle und proaktive Beratung ihrer Mandanten aufbringen zu können.
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Doch diese bisher nicht erreichten Fähigkeiten einer KI können Steuerberater durchaus auch Sorgenfalten auf die Stirn treiben. Entsteht hier ein neuer Wettbewerb? Ein Wettstreit mit Maschinen? Ganz so übel dürfte es nicht kommen, doch auf Veränderungen muss sich der Berufsstand einstellen. So ist damit zu rechnen, dass einfache steuerliche Anfragen potenzielle Mandanten nun auch selbst erledigen werden – im Zweigespräch mit der KI. Doch ob die Antwort dann tatsächlich die individuell beste Lösung ist, bleibt fraglich.
Mitarbeiter weiterentwickeln
So geht Steuerberaterin Carolin Miebach nicht davon aus, dass komplexe Umwandlungsfälle durch die Technik ersetzt werden. „In vielen Fällen schwingen auch zwischenmenschliche Faktoren mit, die uns vielmal in den täglichen Beratungen begegnen. Auch wenn die KI vielleicht eine vermeintlich ‚perfekte‘ steuerrechtliche Lösung präsentieren kann, heißt das noch lange nicht, dass dies auch die Lösung für diesen einen Mandanten sein wird.“ Miebach sieht eher die Weiterentwicklung der Mitarbeiter zur optimalen Nutzung der KI als entscheidendes Kriterium für die Zukunft des Berufes an. „Und da reicht es nicht aus, einen Fachassistenten für IT und Digitalisierung als Zusatzqualifikation ins Leben zu rufen, sondern auch den eigenen Blick auf die Kanzlei zu schärfen“, so die Beraterin.
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Viele Steuerberater – so auch Miebach – bleiben daher gelassen und sehen zunächst die Vorteile solcher Lösungen. So spart der Technologie-Einsatz viel Zeit, die man sonst mit der Beantwortung von Standard-Anfragen oder einfachen buchhalterischen Tätigkeiten verbringen müsste. Für die komplexe und individuelle Beratung bleibt zunächst der Steuerberater „aus Fleisch und Blut“ der Ansprechpartner Nummer Eins.
Internationales Steuerrecht bisher kein Thema für KI
Dirk Wendl, Steuerberater bei der Wendl & Köhler Steuerberatungsgesellschaft, verfolgt die Entwicklung von KI seit langem, da er die Automatisierung in der Steuerberatung seit 2006 selbst vorantreibt und erlebt. „Es ist nicht nur ChatGPT, dass in der Version 4.0 schon erstaunliche Ergebnisse liefert, sondern es sind auch andere Programme, in denen KI Arbeiten in der Steuerberatung abnimmt, übernimmt oder erleichtert“, sagt Wendl. Der Steuerberater hat selbst die Fähigkeiten von ChatGPT in steuerlichen Bereichen getestet und sieht hier (derzeit) eine Unterstützung der Arbeit. „Die Fähigkeit von ChatGTP in der deutschen Sprache ist ok, im Gegensatz zum Englischen, wo doch einige erstaunliche Ergebnisse herauskamen“, so Wendl.
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Er sieht die Entwicklung, in einem Zeitraum von vier bis fünf Jahren sehr differenziert. „Die KI wird standardisierte Aufgaben übernehmen, wie wir es bei uns derzeit mit milia.io auch bereits machen. Sehr komplexe steuerliche Aufgaben oder Zusammenhänge wird ChatGTP nicht in absehbarer Zeit – dank sei all den Juristen – nicht übernehmen können, wie beispielsweise im internationalen Steuerrecht“, ist der Experte überzeugt. Bei Wendl & Köhler setzt man von Anfang an auf technische Erleichterungen. „Ich versuche, stupide Aufgaben den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen abzunehmen oder einen Mehrwert für den Mandanten, mit Hilfe von Software zu generieren“, sagt Wendl. Ein Problem werde jedoch sein, dass Mandanten anstatt "Ich habe bei Google gelesen..." sagen werden: "ChatGTP hat aber gesagt...".
ChatGTP hat aber gesagt...
Andere Marktbeobachter sehen dies ähnlich: Es wird für Mandanten immer leichter sich selbst fundiert zu informieren. „Ursprünglich waren es teure Fachbücher, dann war es die kostenlose Recherche in Google, jetzt die KI“, sagt Steuerberater Stefan Oehmann. „Als Berater wird es also schwieriger als erster auf Mandanten mit Beratungsvorschlägen zuzugehen, da diese immer mehr auch mit KI-Ergebnissen auf den Berufsstand zukommen werden“. Oehmann schätzt, dass das Tempo und der Druck noch weiter zunehmen werden. „Einfache Themen werden vermehrt von Mandanten gar nicht mehr an den Berufsstand herangetragen werden“, so seine Prognose.
Ferner geht er davon aus, dass Mandanten Beratungsempfehlungen auch durch die KI überprüfen werden. Gibt die KI andere Antworten, kommen Rückfragen. „Eine hohe Beratungsqualität ist also Voraussetzung dafür, dass Mandanten einen weiterhin als kompetenten Experten sehen“, so Oehmann.
Wer als Berater die KI für Fragestellungen einsetzt, müsse sich im Klaren sein, wie weit er auf die Antworten vertraue. In steuerlichen Fragestellungen sieht Oehmann die KI aktuell eher „als Stoffsammler“ und für Lösungsentwürfe. „Ich darf mich im Alltag nicht verleiten lassen, diese Antworten ungeprüft an Mandanten zu geben“. Die KI werde aber Zuarbeiten von Mitarbeitern übernehmen. Gerade dort, wo jüngere Berufskollegen bei Beratungsprojekten oder Rechtsbehelfsverfahren zuarbeiten, und Erfahrungen sammeln, ersetzt die KI.
Trotz allem: Mehr Chance als Risiko
Oehmann sieht die Entwicklung insgesamt positiv, „da sich dem Berufsstand das wohl leistungsstärkste Assistenztool überhaupt eröffnet.“ Die Schwierigkeit liege eher darin, als Steuerberater zu entscheiden wo und wie umfassend man auf die KI zurückgreife. Nutzt man sie für Routineaufgaben, einfachere Fragestellungen oder versuche man komplexe Fälle damit zu lösen? Das kann und muss letztlich jede Kanzlei für sich entscheiden.
Beim Tech-Anbieter Taxy.io sieht man durch den Einsatz von KI bei Steuerfragen enorme Chancen für die Branche und eher geringe Risiken. „Aus unserer Sicht ist es klar, dass der Einsatz von KI den Steuerberater nicht ‚ersetzen‘, sondern – richtig genutzt – erheblich unterstützen kann“, sagt Kirchhoff. Dafür führt er zwei Gründe an: „Erstens wird der Steuerberater auch langfristig aus haftungsrechtlichen Gründen für seine Arbeit verantwortlich sein und daher muss auch langfristig immer eine fachliche Kontrolle durch den Steuerberater erfolgen.“ Zudem seien viele Lebenssachverhalte aufgrund von unbestimmten Rechtsbegriffen nicht so eindeutig zu lösen wie eine Klausuraufgabe. „Die Grenzen der KI sind sinnbildlich dort, wo die Unbestimmtheit von Rechtsbegriffen beginnt“, so Kirchhoff.