Es vergeht kaum ein Tag, an dem Künstliche Intelligenz – und hier insbesondere der KI-basierte Chatbot ChatGPT – nicht für Schlagzeilen sorgt. Zurecht. Auch für Steuerkanzleien eröffnen sich interessante Möglichkeiten, um Kosten und Zeit zu sparen.
ChatGPT gilt als „iPhone-Moment“ für Künstliche Intelligenz (KI). So wie Apple mit seinem ersten iPhone seinerzeit die mobile Kommunikation revolutionierte, hebt ChatGPT die Möglichkeiten und insbesondere den Umgang mit KI auf eine neue Qualitätsstufe. Es sind weder Programmierkenntnisse noch spezielle Interfaces oder Hardware erforderlich, um mit der KI zu kommunizieren.
Wer die KI in eigene Produkte oder Websites integrieren möchte, kann sie über eine Schnittstelle anbinden. Bezahlen muss man für den Service abhängig vom gewählten Modell und Textvolumen. Noch vor Kurzem waren die einzigen realistischen Einsatzmöglichkeiten für KI in einer Steuerkanzlei rund um das Thema Robotic Process Automation verortet, kurz RPA. So werden KI gestützte Lösungen zur automatisierten Belegverarbeitung eingesetzt. Doch mit ChatGPT werden die Möglichkeiten vielfältiger. Die KI ist extrem leistungsstark und der Umgang damit intuitiv.
„Künstliche Intelligenz (KI) hat das Potenzial, die Steuerberatung grundlegend zu verändern“, sagt Lutz Phillipp Spieker. Der selbständige Steuerberater betreibt online die Steuerkanzlei „Der-Steuerberater.com“ und ist außerdem Dozent für Steuerrecht. Der Steuerexperte nutzt ChatGPT, um seine Texte oder auch seine Vorträge zu optimieren und sieht noch weitreichendere Einsatzfelder: „Anstatt einen Steuerberater zu konsultieren, könnte man eine KI nutzen, die jede Frage präzise und schnell beantwortet. Viele Mandanten suchen ohnehin schon online nach Lösungen für ihre steuerlichen Probleme“, so Spieker. Ebenso sei es denkbar, dass KI die Buchhaltung ohne jegliche Eingabe absolvieren könnte (die sogenannte 0-Eingabe-Buchung). Dann würde sie einfach die Belege aus verschiedenen Quellen – zum Beispiel E-Mails – selbstständig erfassen und vollautomatisch zuordnen.
Vielfältige Einsatzmöglichkeiten von ChatGPT in Steuerkanzleien
Um Routineaufgaben zu automatisieren – beispielsweise Rechnungen zu erstellen oder Belege zu buchen – ist KI ohnehin prädestiniert. Insbesondere ChatGPT ist sehr leistungsfähig und kann selbst große Datenmengen aus verschiedenen Quellen zusammenführen und bereinigen. Aufgrund ihrer Leistungsfähigkeit kann das KI-basierte Sprachmodell sogar für Prognosen und Planungen herangezogen werden. Beispielsweise könnte ChatGPT Auswirkungen von steuerlichen Veränderungen vorhersagen und entsprechend mithelfen, optimale Steuerstrategien für Mandanten zu planen.
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Nicht zuletzt kann die selbstlernende Technologie auch in der aktuell sehr populären Form als Chatbot eingesetzt werden und die Mandantenkommunikation unterstützen. Hier könnte der smarte Bot entweder selbst die Fragen beantworten oder die passenden Informationen sehr schnell bereitstellen – egal ob es um Fragen zur Steuererklärung oder der Beantragung von Fördermitteln geht.
ChatGPT: „Arbeit wird nicht abgenommen, sondern unterstützt und beschleunigt."
„Wir haben mit ChatGPT eine digitale Steuerassistenz. Ihr Selbstbewusstsein ist dem von Hochschulabsolventen ähnlich, die tatsächliche fachliche Tiefe ebenso“, sagt Steuerberater Jens Henke. Doch für eine optimale Beratung sei insbesondere Erfahrung und große fachliche Expertise gefragt. „Arbeit wird nicht abgenommen, sondern unterstützt und beschleunigt. Mehr jedoch aktuell nicht“, sagt Henke. Der Experte beschäftigt sich seit mehreren Jahren intensiv mit der Digitalisierung der Steuerberatung und setzt sich als Dozent für Betriebswirtschaftslehre und Digitale Unternehmensentwicklung auch für die Aus- und Weiterbildung von Mandanten ein. Nach seinen Erfahrungen funktioniert eine selbst für steuerliche Laien verständliche Umwandlung von Gesetzen, Urteilen oder Kommentaren durch ChatGPT bereits ganz gut.
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Ebenso der Einsatz als Assistenz bei der Entwicklung von Businessplänen. „Mit dem GPT 4 Modell ist es auch möglich, in vorgegebenen Gesetzestexten Spielräume zu identifizieren und einfache Gestaltungen zu entwickeln“, sagt Henke.
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Das Thema KI aber auf das „Werkzeug“ ChatGPT zu reduzieren, hält er für falsch. Vielmehr sieht der Digitalisierungsexperte drei große Gruppen von KI-Lösungen, die für Steuerberatungskanzleien interessant sind: Sprachmodelle und Modelle mit Datenanalyse und Interpretation, Modelle zur Prozessautomation und Optimierung, sowie Modelle zur Bilderkennung. „Das Thema Bilderkennung wird allerdings spätestens mit der Einführung der elektronischen Rechnung in Form von strukturierten Datensätzen obsolet sein“, erläutert Henke. Entsprechend würden Modelle zur Datenanalyse und -Interpretation dann noch relevanter werden. Hier darf man auf die weiteren technischen Entwicklungen gespannt sein.
Vorsicht und Umsicht im Umgang mit KI nötig
Die neuen Möglichkeiten sind jedoch naturgemäß auch mit Herausforderungen verbunden. Soll eine neue Technologie in der Kanzlei eingeführt werden, sollten beispielsweise alle Mitarbeiter darin geschult und motiviert werden. „Um dies zu erreichen, ist es wichtig, die Vorteile und Ziele der neuen Technik klar zu kommunizieren und die Mitarbeiter bei Fragen und Problemen zu unterstützen“, sagt Spieker. Nur so könne eine neue Technik effektiv genutzt und in den Arbeitsalltag integriert werden. „Auch sollte man den Output angemessen überprüfen“, rät Spieker.
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Das Problem: Ein KI-basiertes Sprachmodell wie ChatGPT lernt zwar ständig dazu, aber ist noch längst nicht perfekt. Immer wieder macht es Fehler, interpretiert Daten falsch oder stellt falsche Zusammenhänge dar. Außerdem ist noch unklar, wie ein bestimmtes Sprachmodell die seinen Antworten zu Grunde liegenden Informationen bezieht und gewichtet. Experten mahnen daher zur Vorsicht und Umsicht. „Wir kennen weder die Informationsbasis noch die Informationsgewichtung mit der beispielsweise Chat GPT arbeitet. Die Gefahr der Arbeit mit fehlerhaften oder unvollständigen, gar bewusst falschen Informationen, ist daher gegeben“, warnt Henke, der eine „kluge und zielgerichtete“ Regulierung für wichtig hält, „sie dient letztendlich dem optimalen Einsatz der Werkzeuge und ausdrücklich nicht deren Beschränkung oder Verbot“, betont der Experte. Henke plädiert auch dafür, die berufsrechtliche Regulierung im Hinblick auf den Einsatz von KI weiterzuentwickeln, insbesondere in Bezug auf die Grenzen des Software-Einsatzes und die Aufsicht der Anbieter: „Zudem sind Zertifizierungen von KI-Lösungen vor deren Einsatz in der Steuerrechtspflege zu erwägen.“
Die aktuellen Entwicklungen zeigen: Eine KI wie ChatGPT wird menschliche Steuerberater nicht ersetzen. Vielmehr kann sie als Werkzeug dienen, um Kanzleien in ihrer Arbeit zu unterstützen. Für Automatisierung und die Mandantenkommunikation im Web ist sie bestens geeignet, ebenso für das Optimieren unterschiedlichster Texte – von der Stellenanzeige über den Website-Text bis hin zu Vorträgen. Außerdem können selbstlernenden Systeme neue Erkenntnisse und Lösungsansätze liefern. Der Steuerberatung steht mit ChatGPT künftig also eine sehr talentierte und schlaue digitale Assistenz zur Seite, die Zeit und somit auch Kosten sparen kann. „Ohne einen fachlichen und formellen Review Prozess, wie wir ihn aus unserem Kanzleialltag ohnehin kennen, geht es aber auch beim Einsatz der Sprachmodelle nicht“, sagt Henke.